Nacht aus Rauch und Nebel
Wichtigste ist damit also erst einmal, Panik in der Bevölkerung zu vermeiden.«
Ein mulmiges Gefühl beschlich mich. »Äh, wieso macht dich das so froh?«
»Weil mir eine grandiose Idee gekommen ist. Erinnerst du dich noch daran, wie du mich mal nach den Pyramiden von Giseh in der Schattenwelt gefragt hast und ich dir erklärt habe, sie stünden momentan leer?«
»Kann sein.« Ich zuckte mit den Achseln. Natürlich hatte ich unsere Unterhaltung darüber nicht vergessen. Immerhin war der See unter den Pyramiden der Ort, an dem ich den Weißen Löwen gefunden und dann wieder verborgen hatte. Doch davon wusste mein Vater nichts und ich hoffte sehr, dass es so blieb. »Was ist denn mit denen?«
»Ich habe mir überlegt, sie umzubauen und ganz neu zu gestalten.« Mein Vater strahlte mich an. »Ich werde dort ein riesiges Aquarium einrichten. Für Eisenheims Bewohner. Eine Attraktion, die signalisiert, dass ich alles unter Kontrolle habe.«
Oder dass du nicht mehr ganz dicht bist, dachte ich und stemmte die Hände in die Hüften, weil mir die Worte fehlten. Das war die Antwort des Fürsten auf all die schrecklichen Vorkommnisse in Eisenheim? Ein Aquarium? Irgendetwas ging in der Schattenwelt vor sich, eine namenlose Gefahr für alle, die in ihr lebten, und mein Vater widmete sich seinem liebsten Hobby – Fischen! Ging’s noch? Was war denn heute los?
»Wir haben dich selten so sprachlos gesehen«, warf Christabel über ihr Strickzeug hinweg in den Raum. »Es ist simpel und doch genial, nicht wahr?«
» Bitte?« Meine Stimme überschlug sich und ich musste erst ein paarmal tief durchatmen, bevor ich weitersprechen konnte. Was dachten sich die beiden denn? Einfach ein Aquarium bauen und vor allem anderen die Augen verschließen wollen! »Es gibt doch sicher Hunderte von Dingen, die den Menschen jetzt mehr helfen als eine Freizeitattraktion, meint ihr nicht?«
»Also findest du es nicht so … gut?«, fragte mein Vater erstaunt.
Ich schüttelte den Kopf. »So ein Aquarium wäre bestimmt eine tolle Sache, aber es hilft uns doch nicht, das Problem mit dem Nichts zu lösen.«
Mein Vater und Christabel tauschten einen Blick. »Der Kanzler hält die Idee für fantastisch«, gab mein Vater zu bedenken.
Ich schnaubte. »Ja, das kann ich mir vorstellen. Ich hingegen denke, wir sollten lieber versuchen, so viele Seelen wie möglich in Sicherheit zu bringen.«
»Mhm«, machte Christabel und auch mein Vater schien darüber nachzudenken. »Vielleicht hast du recht«, gab er schließlich zu. »Ich werde deinen Vorschlag mit dem Kanzler besprechen.«
»Tu das«, sagte ich. »Das Aquarium kannst du später immer noch bauen, wenn die Gefahr gebannt ist.«
»Ja«, sagte mein Vater. »Das stimmt natürlich.«
Ich seufzte und angelte nach dem Handy in meiner Hosentasche, denn es hatte gerade vibriert. Das Display zeigte mir eine SMS von Wiebke: Hast du Lust vorbeizukommen? So gegen sechs?
Ja, antwortete ich, ohne zu zögern. »Schön, dass wir drüber gesprochen haben«, sagte ich zu meinem Vater und Christabel. »Es tut mir leid, aber ich muss jetzt gehen. Wiebke geht es wieder besser.«
»Dann bestell ihr schöne Grüße von uns, Engelchen«, rief Christabel mir hinterher.
Ich war bereits im Flur und wickelte mir meinen Schal um den Hals. Die Jacke zog ich an, während ich die Treppe hinunterstieg. Dreißig Sekunden später stürzte ich hinaus auf die Straße. Es war schon zwanzig vor sechs, also beeilte ich mich, zur S-Bahn zu kommen. Es tat gut, draußen zu sein, den Herbst zu riechen, durch raschelndes Laub zu laufen. Ich fühlte mich gleich lebendiger, meine Kopfschmerzen ließen nach.
Allerdings beschlich mich dafür mehr und mehr ein anderes Gefühl, das Gefühl, beobachtet zu werden. Immer wieder legte ich den Kopf in den Nacken und suchte den Herbsthimmel nach den dunklen Schwingen der Schattenpferde ab, mit denen mich der Kanzler so gerne beschatten ließ. Doch ich entdeckte nirgendwo eine der flackernden Gestalten. Stattdessen hörte ich Schritte, die immer dann stoppten, wenn ich ebenfalls innehielt. Und da, war da nicht ein Schatten, der sich hinter meinem durch den Lichtkegel der Straßenlaterne schob, als ich zum Bahnhof hinaufging?
Der Umriss einer Person flackerte schräg hinter mir auf. Absätze klapperten auf dem Pflaster.
Ich wirbelte herum, aus dem Augenwinkel sah ich, wie jemand davonhuschte. Jemand, der sich in einem Hauseingang versteckte. Rasch lief ich einige Schritte zurück, doch als ich um
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