Nacht aus Rauch und Nebel
Flackern zog sich von ihrer Haut zurück. Marian atmete erleichtert auf, dann warf er mir seinen Autoschlüssel zu.
»Hier«, sagte er. »In meine Wohnung wagen sie sich nicht. Da sind wir in Sicherheit. Ich muss nur noch meinen Körper holen.«
Entferntes Wiehern drang an mein Ohr. Ich nickte und schüttelte gleich darauf den Kopf. »Willst du etwa, dass ich fahre?«, brüllte ich Marian hinterher.
Wiebke riss mir den Schlüssel aus der Hand. »Ausparken kriegen wir wohl gerade noch hin«, rief sie. »Führerschein mit siebzehn, schon vergessen?«
Zwei Minuten später saßen Ylva und ich auf der Rückbank von Marians klapprigem VW Polo. Sie zitterte. Ich drückte sie an mich und redete beruhigend auf sie ein, im selben Tonfall, wie Marian es gerade getan hatte. Wiebke stellte sich Sitz und Rückspiegel ein und startete den Motor, als wäre es das Selbstverständlichste auf der Welt.
Wir fuhren zum Hinterausgang der Halle, aus dem Marian kurz darauf stürzte. Er trug noch seinen Helm und die Schoner an Armen und Beinen, die seinen Körper beim Sturz auf das Eis anscheinend vor dem Schlimmsten bewahrt hatten. Nur die Schlittschuhe hatte er abgestreift. Auf Socken rannte er um das Auto herum und ließ sich in den Beifahrersitz fallen. Ohne mit der Wimper zu zucken, gab Wiebke Gas.
Viel zu schnell brauste sie um die nächste Kurve. Einige Minuten lang schwiegen wir, bis sich Marian irgendwann räusperte. »Wir haben den Kanzler letzte Nacht sehr wütend gemacht, Flora«, sagte er, während Wiebke auf die Autobahnauffahrt zusteuerte.
»Sieht ganz so aus«, stimmte ich ihm zu.
Ylva, die nun wieder ruhiger atmete, verbarg ihr Gesicht an meiner Schulter und schluchzte leise.
14
AUFBRUCH INS UNGEWISSE
In Notre-Dame war der Aufruhr darüber, dass der Großmeister mir Asyl gewährte, groß. Viele Kämpfer standen der Sache skeptisch gegenüber, allen voran Katharina, die mich am liebsten gepackt und persönlich vor die Tür gesetzt hätte. Ich fühlte mich unwohl unter den missbilligenden Blicken. Draußen umkreisten unterdessen Hunderte von Schattenreitern die Kathedrale. Der Fürst tobe in seinem Palast, so hieß es. Man erzählte sich auch, dass mein Vater darüber nachdenke, die angestammten Rechte des Ordens zu verletzen und den Soldaten des Kanzlers den Befehl zum Stürmen zu geben.
Mich beunruhigte das alles jedoch überraschend wenig. Mich erfüllte eine Stille, die wohl mit der Gewissheit zusammenhing, dass wir bald etwas unternehmen würden. Zwar war mir schleierhaft, was genau das sein würde, aber diese Tatsache hielt mich nicht davon ab, so zu empfinden. Vielleicht hatte es damit zu tun, dass Marian mir gestern, nachdem wir Wiebke nach Hause gebracht hatten und Ylva eingeschlafen war, von einem Schiff erzählt hatte, das dem Nichts widerstehen konnte. Der Großmeister baute angeblich schon seit Jahren in einem seiner Labore daran. Ich erinnerte mich an das riesige Metallteil, mit dem ich ihn neulich gesehen hatte. Inzwischen stünde dieses Schiff kurz vor der Vollendung, hatte Marian behauptet, und dass er es nutzen wolle, um seine Schwester zu befreien …
Ich lag auf dem Bett in meinem Zimmer und starrte die Decke an, unter der Sieben seine Bahnen zog. Hyperaktiv kreiselte er um die Lampe und von einer Ecke in die andere. Vermutlich sollte ich öfter mit ihm rausgehen. Bei dem Theater, das er in letzter Zeit veranstaltete, sobald ich auch nur ein Fenster öffnete, wurde immer offensichtlicher, wie sehr er nach Frischluft und Bewegung lechzte. »Es geht leider nicht«, murmelte ich. Obwohl Sieben kein Lebewesen war, tat mir die Magmakugel leid. In den vergangenen Wochen hatte ich ihn viel zu oft allein hier in Notre-Dame zurückgelassen. Ich konnte mich einfach nicht daran gewöhnen, ständig eine Lichtquelle über meinem Kopf herumfliegen zu haben. Gerade sirrte Sieben zum dritten Mal innerhalb von fünf Minuten gegen die Scheibe. »Wenn wir rausgehen, verhaften sie mich«, erklärte ich ihm. »Wir könnten höchstens eine Runde durch die Kathedrale drehen«, schlug ich halbherzig vor. Vor Begeisterung glomm Siebens Licht auf. Er sauste zur Tür.
Ich seufzte. »Das willst du? Na schön.«
Kurz darauf wanderten wir gemeinsam durch die Flure Notre-Dames. Sieben stürmte um Ecken und tobte um meine Beine wie ein junger Hund. Das letzte Mal, als er sich so benommen hatte, war dabei fast die Dame verletzt worden. Die Dame, die mich in der realen Welt zu verfolgen schien, wie ich erst vor einigen Stunden
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