Nacht der Begierde (Geraldine Guthrie) (German Edition)
Trümmern.
"War das auch ein Vampir?", wollte sie wissen.
Urbano nickte. "Der älteste von ihnen, der, dem du verpflichtet sein würdest, wenn du stirbst. Er heißt Michail Kruschkin und man sagt, er entstamme einem sehr alten Menschengeschlecht. Doch das wird für ihn keine Rolle mehr spielen. Solche Tatsachen interessieren Vampire nicht."
"Warum nicht?"
In diesem Moment tauchte über den Rand der aufgerissenen Mauer ein fahles Gesicht auf. Direkt hinter ihm folgten zwei weitere. Geraldine blieb das Herz stehen. Es waren ihre drei menschlichen Bewacher, Paul, Phil und Robert, aber sie hatten sich sehr verwandelt. Ihre Haut war bleich und ihre Augen zeigten ein farbloses Schwarz. Fangzähne ragten über ihre blutleeren Lippen. Sie grinsten widerlich.
"Hast du etwas, mit dem du dich wehren kannst?", wandte sich Urbano an sie.
Geraldine blickte auf das halb zertrümmerte Büffet, auf dem sie eigentlich ihre Pflanzen stehen hatte und auf das sie auch ihr Jagdmesser legte, wenn sie zuhause war. Jetzt entdeckte sie es nicht sofort. Wie alles andere hatte der Luftdruck auf ihre Waffe mitgerissen. Doch dann sah sie es inmitten eines Pflanzengewirrs.
Keine Sekunde zu spät ergriff sie es und im nächsten Augenblick versenkte sie es tief in die Kehle von dem Vampir, der am Nachmittag noch Paul gewesen war. Das Wesen stieß keinen Schrei aus. Es drehte sich nur nach hinten, wobei das Messer das halbe Gesicht aufschnitt.
"Du musst sein Herz treffen!", rief Urbano von irgendwo her.
Paul sprang schon wieder auf sie zu. Geraldine spürte, wie sie innerlich völlig ruhig wurde. Sie wartete eine winzige Sekunde, dann drehte sie ihren Oberkörper zu Seite, fasste dem Vampir mit ihrer freien Hand unter den Arm und zog ihn weiter, während sie mit ihrer anderen Hand das Messer nach oben führte und ins Herz stieß. Zwei Explosionen warfen sie gleichzeitig um. Feuer hüllte sie ein und ein unerträglicher Schmerz riss sie auseinander.
Ich fühle Schmerzen, wenn ein Vampir stirbt!, dachte sie überrascht. Ich habe eine Verbindung mit ihnen.
Das machte sie wütend. Sie konzentrierte sich und lenkte den aufflackernden Zorn gegen den Schmerz. Fast sofort konnte sie ihre Aufmerksamkeit wieder auf die Umgebung richten. Eine weitere Explosion ließ sie taumeln. Ihr Begleiter hatte auch den dritten Vampir getötet. Geraldine tauchte sofort in ihr Inneres und blockte den Schmerz weitestgehend ab. Irgendwie hatte sie das Gefühl, dass sie das lernen müsse, wenn sie ihr neues Leben akzeptieren wollte.
Sie blickte Urbano an. Er materialisierte sich gerade wieder und diesmal vollständig. Die Krankenschwester im Hospital hatte recht gehabt. Er war ein ausgesprochen schöner Mann (oder, ergänzte eine Stimme leicht hämisch in ihren Gedanken, ein Wesen mit einem besonders guten Geschmack für Männer). Sein enormer, muskelbepackter Brustkorb ging in eine schmale Hüfte über. Geraldine registrierte auch den Hintern, der genau richtig war, nicht zu flach und nicht zu rund und bei dessen Anblick (obwohl es mehr eine Ahnung war, da Urbano halb zu ihr gedreht stand) sie Lust bekam, ihre Hände daraufzulegen. Am besten so, dass sie seine Hüften gegen ihr Becken pressen konnte.
Reiß dich zusammen, Gerry! schimpfte sie mit sich selbst. Tatsächlich war Geraldine sogar ein wenig erschrocken, dass sie in einer solch gefahrvollen Situation an Sex dachte und dass sie offenbar gar nicht kontrollieren konnte, wen sie für ihre Fantasien gebrauchte. Hätte ihr jemand vor zwei Wochen erzählt, dass sie solche Gedanken haben würde, hätte sie diesen Menschen ausgelacht.
Jetzt aber musste sie richtig mit sich selbst kämpfen, um ihre Orientierung zu behalten und die Lage richtig einschätzen zu können.
Im Zimmer breitete sich eine gewisse Ruhe aus, wenn man das ganze Durcheinander mit Ruhe in Verbindung setzen konnte. Draußen dagegen schien der Kampf weiterzugehen. Schwach, wie beunruhigende Signale aus dem Hinterkopf, spürte Geraldine immer wieder einen dumpf aufflackernden Schmerz. Er glich jenem, den sie spürte, wenn in ihrer Nähe ein Vampir starb. Doch insgesamt war er schwächer, kontrollierbar. Sie vermutete, dass das daran lag, dass die getöteten Vampire zu weit weg waren.
Von irgendwo her drang ein entnervendes Quietschen, als würde jemand mit einer riesengroßen Kreide über eine riesengroße Tafel fahren. Sie konnte die Ursache des Tons nicht ergründen, schauderte aber bis ins Innerste.
"Bist du in Ordnung?", wollte Urbano
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