Nacht der Begierde (Geraldine Guthrie) (German Edition)
wissen.
Geraldine nickte.
"Du bleibst hier. Ich komme gleich zurück."
Diesmal war ihre Wut sofort da. "Nein!" Sie wollte noch sagen, dass sie wenigstens zwei, drei Sätze zur Erklärung haben wollte, als sich bereits sein Körper in eine strudelnde Welle auflöste und durch den klaffenden Riss in der Hauswand verschwand. Genau in diesem Moment wurde es still, totenstill.
Einen Moment erstarrte Geraldine überrascht. Ihr kam der Gedanke, dass die Stille mit dem Verschwinden Urbanos zusammenhänge, dann verwarf sie diese Idee. Der Kampf war beendet worden und er war nicht gut gelaufen für die Vampire.
Im Zimmer rauchten immer noch einige Stellen. Ein Stück Metall hatte ihren Vitrinenschrank getroffen, das Glas der einen Tür zerschmettert und die Leiste zerbrochen. In diesen Vitrinenschrank hatte Geraldine ihre Souvenirs gestellt. Eine Puppe, die sie aus Südamerika, genauer gesagt Chile, mitgebracht hatte, war von einer scharfen Kante des Metalls getroffen worden und lag halb aufgeschnitten zwischen anderen Erinnerungsstücken, die mehr Glück gehabt hatten.
Die ganze Wohnung stank intensiv nach Rauch, verschmortem Plastik und Benzin.
Geraldine stiegen die Tränen in die Augen. Hätte man sie vorher gefragt, dann hätte sie gesagt, dass sie sich nicht viel aus ihrer Wohnung mache. Ihr Herz gehörte den Wäldern und den Tieren, die darin lebten, und sie fühlte sich wesentlich wohler, wenn sie einem Bär auf der Spur war, wenn sie nachts über Stunden hinweg die Hirsche auf einer Lichtung beobachtete oder wenn sie ein verletztes Tier operierte. Das war ihr Leben. Sie konnte sich nicht vorstellen, häuslich zu werden. Wie oft hat sie schon zuhause gesessen und sich einsam gefühlt? Geradezu überflüssig? Nein, Geraldine machte sich wenig aus ihrer Wohnung. Doch ergriff sie jetzt ein tiefer Schmerz, vermischt mit einer tiefen Trauer. Sie hatte das Gefühl, nun sei ihr Leben endgültig aus der Bahn geraten. Es war fast wie eine Kette. Erst die Eltern, dann die zahlreichen Enttäuschungen mit nicht ganz so zahlreichen Männern, schließlich der Überfall auf sie und nun ihr Rückzugsgebiet, auch wenn es gar nicht ihr wirkliches Rückzugsgebiet war.
In diesem Augenblick hatte sie nur intensive Sehnsucht nach ihrer Schwester und ihrer Großmutter und hätte fast alles dafür gegeben, einfach nur mit ihnen auf der Veranda zu sitzen und, wie sie das früher getan hatten, über die Schule zu reden. All dies war verloren.
Kapitel 4
Geraldine wurde aus ihren Gedanken gerissen, als ein mächtiger Schatten ins Zimmer stürzte. Sie schrie entsetzt auf, als sie die Gestalt genauer erfasste. Es war ein großes, gebeugtes Wesen, behaart, und mit einem schrecklichen Kopf, der zwar an einen Wolf erinnerte, aber viel hagerer, knochiger, skelettartiger war. Es hatte riesige Reißzähne. Die Augen lagen tief in den Höhlen und glommen feurig rot. Die Vorderarme waren lang und kräftig und endeten in großen Klauen mit langen Nägeln. Die Hinterbeine waren wesentlich kürzer, so dass der Körper eher an einen Gorilla erinnerte.
Das Wesen verharrte einen Moment zwischen Sofa und dem Korridor, der zu Bad und Schlafzimmer führte, und blickte Geraldine intensiv an. Dann veränderte sich die Gestalt plötzlich und im nächsten Moment stand dort ein Mann. Auch er war, aber Geraldine hatte längst aufgehört, sich zu wundern, nackt. Bevor sie ihn genauer betrachten konnte, tauchte ein weiteres dieser Wesen auf, eines mit hellbeigem Fell. Doch noch im Sprung verwandelte es sich und sie erkannte Iaron. Sein sportlicher Körper glänzte weiß. Und natürlich fehlten auch ihm die Kleider.
Irgendwie war das zu bizarr für Geraldine. Später dachte sie, dass diese Achterbahnfahrt von Überraschungen, erotischen Träumen, angespanntem Warten, Orientierungslosigkeit, Angst und Trauer einfach zu viel war. Jedenfalls begann sie in dieser Situation hysterisch zu lachen. Sie kicherte, versuchte dieses Kichern zu unterdrücken, musste wieder losprusten und gewann, wenn auch nur für wenige Sekunden, wieder Gewalt über ihren Körper.
Nur im Augenwinkel bemerkte sie, dass auch Urbano zurückkehrte und dass die drei Männer sie mit einer Mischung aus gelassenem Staunen und tiefer Verachtung ansahen. Sie schämte sich zwar, weil ihr Anfall nicht enden wollte, aber was sollte sie tun? Sie war noch ein Mensch. Zumindest vermutete sie das. Und hoffte es. Aber diese Männer waren vielleicht gar nicht mehr so menschlich. Es waren Werwölfe und ein
Weitere Kostenlose Bücher