Nacht der Dämonin / Magischer Thriller
Haupthaus war fünfzehn Meter entfernt, aber ich versuchte es zu ignorieren und mich auf das Nebengebäude zu konzentrieren. Die Tür war vermutlich in der nächsten Wand. Ich blieb stehen und horchte. Zu spüren war nichts als unterschwelliges Chaos, das auch von Karl stammen konnte.
Als ich ihn erreichte, hatte er die Tür einen Spaltbreit geöffnet und das Gesicht an die Öffnung gelegt, um zu wittern. Als er mich ansah, wusste ich, dass es nicht ein Irrtum oder etwas aus der Vergangenheit gewesen war, was ich gesehen hatte. Dort drinnen war geschossen worden.
»Wartest du draußen?«, flüsterte er.
Ich schüttelte den Kopf. Das leise Sirren von Chaos schwoll zu einem steten Rhythmus an. Ich berührte ihn am Arm und streckte mich zu seinem Ohr.
»Ich seh’s so oder so, ob ich da reingehe oder nicht.«
Sein Kinn senkte sich zu einem kurzen Nicken, und das Pochen von Chaos ebbte wieder ab.
Er öffnete die Tür und betrat einen dunklen Raum, den Kopf erhoben, die Nasenflügel gebläht. Ich konnte einen kleinen Esstisch mit Stühlen ausmachen, einen Kühlschrank mit einer Mikrowelle drauf, ein Sofa und einen Block von etwa einem halben Dutzend Schließfächern. Ein Aufenthaltsraum für die Wachmänner.
Karls Blick ging zu einer geschlossenen Tür. Unter ihr war Licht zu erkennen.
»Bleib, wo du …« Er brach den Satz ab, kaute etwas auf ihm herum und sagte dann: »Deck mir den Rücken!«
Ich folgte ihm mit erhobener Waffe, als er zu der Tür ging, den Kopf zur Seite gelegt, als horche er, während seine Nasenflügel bebten. Er drehte den Knauf und riss die Tür auf.
Eine Gestalt saß auf der Toilette, und meine erste Reaktion war, mit einer Entschuldigung zurückzuweichen. Dann sah ich das Blut.
Der Mann war gegen die Rückwand gesackt; sein Mund stand offen. Männlich und unter vierzig, das waren die einzigen Eigenschaften, die ich zur Kenntnis nahm – nicht wegen des Ausmaßes seiner Verletzungen, sondern weil ich den Blick nicht lang genug von diesen Verletzungen losreißen konnte, um irgend etwas sonst zur Kenntnis zu nehmen.
Dem Mann war zweimal aus nächster Nähe ins Gesicht geschossen worden. Die erste Kugel hatte seine Wange zerrissen, die zweite seine Nase in einen zerfetzten Lappen verwandelt, von dem Blut tropfte.
Ich erinnerte mich an den blendenden Scheinwerferstrahl und den Schuss. Hatte der Mann den Tod kommen sehen? Hatte er die Kugel gespürt? Hatte er überhaupt gelitten? Ich hoffte nicht, aber von irgendwo in meinem Inneren kam ein vollkommen anderer Wunsch, nicht der, dass der Mann fürchterlich gelitten haben mochte, aber dass vielleicht, nur vielleicht, lediglich ein kleiner Funken von irgendetwas, ein Flämmchen Chaos, das ich …
Ich schluckte heftig und rieb mir mit beiden Händen übers Gesicht.
»Es muss …«, flüsterte ich. »Einer von den Wachmännern. Paige hat gesagt …«
Die Augen des Mannes öffneten sich. Ich fuhr mit einem Aufschrei zurück.
Karl zerrte mich zur Tür.
»Was machst du …«, begann ich. »Er ist am Leben. Wir müssen …«
Die Worte kamen schrill und überstürzt heraus. Ich wühlte nach meinem Handy, aber meine Finger zitterten so sehr, dass ich es fallen ließ. Als ich mich gegen Karls Griff stemmte, stieß der Mann ein leises Stöhnen aus. Mein Blick flog zu seinem Gesicht.
Die Augen waren so glasig und leer, dass ich sicher war, das Stöhnen war sein letzter Laut gewesen, ich hatte einfach nicht schnell genug reagiert, ich hätte …
Seine Lippen öffneten sich, blutiger Schaum drang hervor, und ich starrte wie gebannt.
»Er ist tot, Hope.«
»Tot? Bist du verrückt?« Ich versuchte mich loszumachen. »Er lebt noch. Siehst du’s nicht?«
Ich drehte mich mit einem Ruck herum, sah die leeren Augen und wusste, dass Karl recht hatte. Keine Spur von Chaos ging von dem Mann aus – keine Angst, kein Schmerz, nur Leere. Aber ich versuchte immer noch in seine Nähe zu kommen, weil es nach wie vor die Möglichkeit gab, dass ich mich irrte, und ich wollte nicht einfach weggehen.
Das Bedürfnis zu helfen war immer noch da, noch nicht begraben unter der Gier nach Chaos, und ich klammerte mich daran mit aller Kraft.
Karl zog mich zur Tür. Ich sah, dass er etwas sagte, aber die Worte trieben ungehört an mir vorbei. Dann kamen zwei, die ich verstand: Paige und Lucas.
Ich griff nach meinem Handy. »Wir müssen ihnen …«
Karl nahm mir das Gerät aus der Hand, schob es mir in die Tasche und fing meine Hände ab, als ich wieder
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