Nacht der Dämonin / Magischer Thriller
löste ich beim Dessert. Er drehte sich auf seinem Stuhl zur Seite, und der Winkel war genau richtig, um eine Erinnerung aus meiner Kindheit wachzurufen, und jetzt wusste ich, wem er ähnelte: dem Erzengel Gabriel in der Kirche meiner Großmutter.
Ich bin mir sicher, es hat etwas Ungehöriges an sich, für einen Engel zu schwärmen, aber ich war damals ja auch erst sechs oder sieben gewesen. Gran war eine Dame der Gesellschaft, die ihren Sohn darauf vorbereitet hatte, eine Debütantin zu heiraten. Ich glaube, als er in den Ferien mit einer Inderin nach Hause kam, die er am College kennengelernt hatte, war sie weder enttäuscht noch ärgerlich gewesen, sondern lediglich eine Spur verwirrt. Wie bei den meisten Frauen ihrer Schicht und Generation war ihr diese Möglichkeit ganz einfach nicht in den Sinn gekommen. Aber er war unverkennbar verliebt, und das Mädchen war so intelligent und so hübsch wie jede Debütantin. Gran hatte ihnen ihren Segen gegeben.
Sie liebte uns ebenso sehr wie all ihre anderen Enkel. Nicht einmal nach der Scheidung hatte sich daran etwas geändert. Wenn es überhaupt ein Problem mit Gran gab, dann war es ihr Bedürfnis, uns zu verstehen zu geben, dass wir dazugehörten. Und hier kam der Engel Gabriel ins Spiel.
Wenn wir bei ihr zu Besuch waren, ging ich immer mit zur Kirche, weil ich wusste, dass es sie freute und meine Mutter ebenfalls. Über der Kanzel befand sich ein riesiges Gemälde voll goldblonder, weißhäutiger Engel, und aus irgendeinem Grund hatte der Maler Gabriel hervorgehoben, indem er ihn dunkelhaarig und braunhäutig darstellte.
In den Augen meiner Großmutter war Gabriel der Beweis dafür, dass ich in Gottes Haus so willkommen war wie jeder andere, und so versäumte sie nie, Gabriels Schönheit zu bewundern und anzumerken, dass es ihn zu etwas Besonderem machte, anders auszusehen als die anderen. Es war eine nicht gerade subtile Lektion, aber sie meinte es gut. Und ich verbrachte viele Stunden damit, in der Kirche zu sitzen und zu Gabriel mit seinen seelenvollen Augen und dunklen Locken hinaufzustarren.
Damit war das Rätsel um Jaz’ Attraktivität also gelöst. Aber das bedeutete nicht, dass mein Herz weniger gepocht hätte, als
seine
seelenvollen Augen sich auf mich richteten. Das Gesicht eines Engels und dahinter ein Geist, der mehr für Teufeleien ausgelegt zu sein schien. Unter den gegebenen Umständen war es vielleicht genau das, was ich brauchte.
Als wir das Restaurant verließen, fragte Jaz: »Du bist also eine Exustio? Oder war’s Aspicio?«
»Expisco«, sagte ich.
»Exustio ist Feuer«, bemerkte Sonny. »Aspicio Sehkraft.«
»Zum Teufel mit den halbdämonischen Bezeichnungen. Hören sich in meinen Ohren alle wie Latein an.«
»Könnte das daran liegen, dass sie lateinisch
sind?
«
»Klugscheißer! Nicht mal Guy hat gewusst, was ein Exp…, Expisco ist. Hat es von Bianca recherchieren lassen, und sie hatte eine Heidenarbeit damit.«
»Es ist ein ziemlich seltener Subtyp«, sagte ich.
»Und ein abgedrehter.« Er sah zu mir herüber. »Nichts für ungut, ich meine damit nur, die meisten von euch haben irgendeine Elementarkraft oder gesteigerte Sinneskräfte. Ärger spüren können, das ist – na ja, es scheint einfach nicht recht dazuzupassen.«
»Reinblütige Dämonen haben meistens die spezifischen Kräfte
und
den Chaossensor. Die meisten Halbdämonen kriegen die Kräfte ohne die Sensoren. Ich kriege nur die Sensoren.«
»Hm.« Er sagte mindestens zehn Schritte lang nichts, was mir verriet, dass ihm etwas zu schaffen machte. Bevor ich fragen konnte, sagte er: »Der Grund, warum ich das zur Sprache bringe – na ja, Guy ist … nicht überzeugt.«
»Dass ich das bin, von dem ich sage, dass ich’s bin?«
Er nickte. »Ich wollte dich bloß vorwarnen. Er wird dich prüfen wollen, und zwar bald.«
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Hope
Easy Rider
A uf dem Rückweg gingen wir durch die für Autos gesperrte Lincoln Road Mall. Die Sonne war untergegangen, und die Temperatur war bis auf angenehme zwanzig Grad gesunken, obwohl es nach wie vor schwül war. Auf der Promenade dachte niemand daran, sich wärmer anzuziehen. Die verschwindend winzigen Shorts und Miniröcke, tiefen Ausschnitte und schlecht gemachten Brustvergrößerungen wurden in ihrer ganzen Pracht vorgezeigt, während das Nachtleben in Gang kam. Alle eilten um die Palmen und beschirmten Tische herum in Richtung ihres Lieblingsclubs in der Hoffnung, früh dort zu sein würde beim Eingelassenwerden helfen.
Jaz
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