Nacht der Füchse
keine Sorgen. Sie kannte alle Soldaten der Gegend – und war bei ihnen bekannt. Was die Polizei betraf, so taten die Be amten, was man ihnen sagte. Es gab keinen, den sie nicht in der Hand gehabt hätte. Hinten im Lieferwagen lagen sicherheits halber mehrere tote Hühner und Fasane. Notfalls konnte sie sich damit herausreden, wieder mal auf Schwarzmarkttour ge wesen zu sein.
Sie schaute auf die Uhr und schaltete das Peilgerät ein. Dann nahm sie drei Lampen zur Hand, lief auf die breite Wiese und arrangierte sie zu einem Kopf stehenden »L«, dessen Quer strich auf der Windseite lag. Dann kehrte sie wieder zum Lie ferwagen zurück und wartete.
Der Flug war völlig ereignislos verlaufen, vor allem weil Green ein alter Hase war und die Tour schon mehr als vierzigmal ge macht hatte. Er hielt nichts davon, der Empfehlung von oben zu folgen und die französische Küste unterhalb der Radarerfas sung anzufliegen. Er hatte diese Taktik ein einziges Mal beher zigt und war prompt von Schiffen der Royal Navy beschossen worden. So überquerte die Lysander die Cherburgh-Halbinsel in gut tausend Metern Höhe und bog dann etwas nach Süden ab.
Green meldete sich über die Sprechanlage. »Noch eine Vier telstunde, halten Sie sich bereit.«
»Besteht die Gefahr, dass wir einem Nachtjäger vor die Roh re geraten?«, fragte Martineau.
»Das ist unwahrscheinlich. Das Oberkommando der Bomber fliegt heute Großangriffe auf verschiedene Ruhrstädte. Da ha ben die Deutschen bestimmt jeden Nachtjäger zum Schutz des Vaterlandes im Einsatz.«
»Sehen Sie!«, rief Sarah. »Ich sehe Lichter.«
Der L-Umriss war deutlich auszumachen, und schon verlor die Maschine schnell an Höhe. »Unser Ziel«, sagte Green. »Meine dritte Landung, ich kenne mich also aus. Kurzes Gast spiel. Sie kennen den Drill, Colonel.«
Und schon schwebten sie über die Bäume ein, landeten und rollten auf die Lichter zu. Sophie Cresson eilte winkend herbei; in der einen Hand hielt sie die Sten. Martineau öffnete das Luk, warf die Koffer über Bord und sprang hinaus. Dann half er Sarah ins Freie. Green griff sofort nach der Tür, knallte sie zu und drehte den Riegel. Der Motor dröhnte kehlig auf, und schon raste die Lysander über die Wiese und schwang sich wieder in die Höhe.
»Kommen Sie«, sagte Sophie Cresson. »Wir müssen hier weg. Sammeln Sie die Koffer ein, während ich die Lampen hole.« Martineau und Sarah folgten ihr zum Lieferwagen, des sen Hecktür sie öffnete. »Hinter den beiden Fässern ist knapp Platz für Sie. Keine Sorge, ich kenne jeden Flic im Bezirk. Sollte ich angehalten werden, lässt sich das leicht mit einem Hühnchen bereinigen.«
»Manche Dinge ändern sich doch wirklich nie«, bemerkte Sarah.
»He, ein Mädchen aus der Bretagne!« Sophie leuchtete Sa rahs Gesicht an und brummte vor sich hin. »Mein Gott, jetzt schickt man schon kleine Mädchen in den Einsatz!« Sie zuckte die Achseln. »Rein mit euch, damit wir wegkommen.«
Sarah kauerte sich hinter den Fässern nieder, und ihre Knie berührten Martineau. Sophie fuhr los. Jetzt begann er also, überlegte sie, der Ernstfall. Mit den Spielereien war es ein für alle Mal vorbei. Sie öffnete die Handtasche und tastete nach der Walther PPK. Die kleine belgische Automatic, die Kelly ihr überlassen hatte, lag im Koffer. Würde sie sie notfalls ab drücken können? Dies musste sich zeigen. Martineau zündete eine Zigarette an und reichte sie ihr. Den Rauch empfand sie als besonders wohltuend; so gut hatte ihr eine Zigarette noch nie geschmeckt. Sie lehnte sich an die Innenwand des Liefer wagens und fühlte prickelndes Leben durch ihre Adern pulsie ren.
Als sie erwachte und sich zu recken begann, war es bereits Mit tag. Das kleine Schlafzimmer unter dem Dach war einfach mö bliert, aber gemütlich. Sie warf die Bettdecke zurück und trat ans Fenster. Der Blick über die Mauern zum Hafen hinab war eindrücklich. Die Tür hinter ihr ging auf, und Sophie trat ein. Sie brachte eine Schale Kaffee auf einem Tablett.
»Ah, Sie sind schon auf.«
»Es tut gut, wieder hier zu sein.« Sarah griff nach der Schale und setzte sich auf die Fensterbank.
Sophie zündete sich eine Zigarette an. »Sie waren schon mal hier?«
»Oft sogar. Meine Mutter war eine de Ville. Halb Jersey, halb Bretagne. Meine Großmutter stammt aus Paimpol. Als kleines Mädchen kam ich immer von der Insel hierher nach Granville. Am Kai lag ein Fischer-Cafe, da gab es die besten
Weitere Kostenlose Bücher