Nacht der Füchse
»Wenn Sie dies auch gleich lesen würden.«
Sarah verstand kein Wort. Martineau war ihr plötzlich fremd, er bewegte sich anders, seine Stimme klang abweisend und nüchtern. Dietrich studierte den Brief, und Guido und Schröder schauten ihm dabei über die Schulter. Der Italiener zog eine Grimasse, und Dietrich gab Martineau das Dokument zurück. »Sie haben gesehen, dass der Führer diese Vollmacht persön lich unterschrieben hat.«
»So ein Papier habe ich in meinem ganzen Leben noch nicht gesehen, Standartenführer«, antwortete Dietrich. »Wie können wir Ihnen behilflich sein?«
»Ich brauche eine Passage für mich und Mademoiselle La tour nach Jersey. Da Sie der Konvoiführer sind, komme ich zu Ihnen an Bord. Ich habe Ihren Obermaat schon angewiesen, unsere Koffer zu verstauen.«
Ein solches Auftreten hätte Erich Dietrich sogleich auf die Palme gebracht, denn von allen Zweigen der deutschen Wehr macht war die Kriegsmarine am wenigsten von den Nazis durchdrungen. Und auch Dietrich hatte nie etwas für die Partei übrig gehabt – was ihm Standartenführer kaum sympathisch machte. Aber leider gab es gewisse Grenzen. Doch einen Ein wand konnte er zumindest erheben.
»Selbstverständlich gern, Standartenführer«, sagte er ge wandt. »Leider gibt es da ein Problem. Die Marinevorschriften lassen es nicht zu, auf einem Kampfschiff Zivilisten mitzu nehmen. Sie kann ich wohl unterbringen, die charmante junge Dame leider nicht.«
Dagegen ließ sich nicht viel sagen, denn er hatte Recht. Mar tineau ging das Problem an, wie man es von Vogel erwarten konnte, arrogant, fordernd, entschlossen, sich nicht unterkrie gen zu lassen. »Was würden Sie vorschlagen?«
»Vielleicht auf einem der Konvoischiffe. Leutnant Orsini be fehligt die Artilleriebesatzungen der SS Victor Hugo, deren Fracht für St. Helier auf Jersey bestimmt ist. Sie könnten dort mitfahren.«
Aber Vogel wollte nicht ganz das Gesicht verlieren. »Nein«, sagte er ruhig. »Es ist vielleicht ganz gut, wenn ich mir mal anschaue, was Sie so machen, Kapitänleutnant. Ich komme zu Ihnen an Bord. Mademoiselle Latour dagegen kann auf der Victor Hugo Quartier beziehen, wenn Leutnant Orsini nichts dagegen hat.«
»O nein«, sagte Guido, der den Blick kaum von Sarah hatte losreißen können. »Es wäre mir eine große Freude.«
»Leider spricht Mademoiselle Latour kein Deutsch.« Marti neau wandte sich zu ihr um und fuhr auf Französisch fort: »Wir müssen uns zur Überfahrt trennen, meine Liebe. Wegen der Vorschriften. Ich behalte dein Gepäck bei mir, darum brauchst du dir keine Sorgen zu machen. Dieser junge Offizier wird sich um dich kümmern.«
»Guido Orsini, zu Ihren Diensten, Signorina«, sagte er galant und hob die Hand an die Mütze. »Bitte folgen Sie mir, ich bringe Sie an Bord. Wir legen in einer halben Stunde ab.«
Sie schaute Martineau an. »Bis später, Max.«
»Auf Jersey.« Er nickte.
Sie verließ den kleinen Raum. Orsini hielt ihr die Tür auf. »Charmantes Mädchen«, sagte Dietrich.
»In der Tat.« Martineau beugte sich über den Kartentisch. »Bleiben wir heute unbelästigt? Wie man hört, werden Ihre Konvois oft von RAF-Nachtjägern angegriffen.«
»Laufend, Standartenführer«, antwortete Schröder. »Heute Nacht aber hat die RAF wohl anderweitig zu tun.«
»Bombenterror für die Zivilbevölkerung unserer großen Städte – wie immer«, sagte Martineau, weil so etwas von ei nem Parteifanatiker wie ihm erwartet wurde. »Und die Royal Navy?«
»Nun ja, deren Torpedoboote treiben sich oft in der Gegend herum«, gab Dietrich zu und klopfte auf die Karte. »Stütz punkthäfen Falmouth und Devonport.« »Und das macht Ihnen keinen Kummer?« »Standartenführer, der Gegner ist zwar zah lenmäßig stärker geworden, doch sind unsere Torpedoboote noch immer die schnellsten Schiffe dieser Klasse – wie ich Ihnen bestimmt heute Nacht beweisen kann.« Er raffte die Kar ten zusammen. »Wenn Sie mir jetzt bitte folgen würden. Wir gehen an Bord.«
Der Konvoi lief kurz nach zweiundzwanzig Uhr aus und um fasste insgesamt elf Schiffe, einschließlich der Binnenfrachter. Die S 92 stampfte als erstes aus dem Hafen und vollführte dann einen Backbordschwenk. Es regnete leicht. Dietrich stand auf der Brücke und starrte mit seinem Zeiss-Nachtfernglas in die Dunkelheit. Martineau hielt sich rechts von ihm. Das tiefer gelegene Ruderhaus war noch enger; dort drängten sich Ruder gänger und Maschinentelegraf und der
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