Nacht der Füchse
ich in Leeds in Yorkshire einen Vetter wohnen. Meinen einzigen Verwandten, wenn er noch lebt. Ich brauche jemanden, der das kaddisch für mich aufsagt. Das sind übrigens Totengebete.«
»Ich kenne das Wort«, sagte Martineau geduldig. »Sind wir uns einig?«
»Berlin in Schutt und Asche«, sagte Baum kopfschüttelnd und lächelte. »Das gefällt mir.«
»Also abgemacht.« Martineau schraubte den Schalldämpfer ab und schob die PPK wieder ins Futteral.
»Was ist mit Hofer?«
»Der ist gar nicht übel. Nicht viel anders als wir. Ich möchte ihm ungern wehtun.«
»Mir fällt bestimmt etwas ein. Ich spreche die Sache mit meinen Freunden durch. Morgen schließe ich mich Ihrer Reise durch den Osten der Insel an. Behandeln Sie mich ein wenig freundlicher. Zu einem passenden Zeitpunkt fragen Sie mich in Neckers Gegenwart, wo ich wohne. Ich erzähle Ihnen dann vom De-Ville-Anwesen – ausführlich. Ein prächtiger Ort, eine herrliche Hofanlage, und so weiter. Sie sagen Necker, das ge fiele Ihnen. Sie würden dort gern zu Mittag essen. Bestehen Sie darauf. Wir legen dort die letzten Einzelheiten fest.«
»Der dritte Akt, so spät umgeschrieben, dass für eine Probe keine Zeit mehr bleibt«, sagte Baum leise.
»Sie kennen doch den Spruch: ›That’s Showbusiness.‹« Mit diesen Worten verschwand Martineau durch den Vorhang.
Es war kurz nach Mitternacht, als Sean Gallagher und Guido Hugh Kelso die schmale Treppe hinabtrugen und in Helens Schlafzimmer absetzten. Sarah wartete an der halbgeöffneten Tür auf Helens Signal vom anderen Ende des Korridors. Als sie es sah, öffnete sie hastig die Tür. »Los«, sagte sie.
Gallagher und Guido verschränkten wieder die Arme, nah men Kelso in die Mitte und hasteten weiter. Die Hintertreppe war breiter, so dass sie leichter vorankamen und nach wenigen Minuten die Küche erreichten. Hier setzten sie Kelso an den Tisch, und Helen schloss die Tür zur Treppe und drehte den Schlüssel um. »So weit, so gut«, sagte Gallagher. »Alles in Ordnung, Colonel?«
Der Amerikaner wirkte erschöpft, nickte aber lebhaft. »Ich finde es großartig, dass es nun weitergeht.«
»Schön. Jetzt geht’s über den Waldweg zum Häuschen. Dauert höchstens zehn Minuten.«
Helen brachte ihn zum Schweigen. »Ich glaube, da kommt ein Wagen.«
Sie warteten, und Sarah drehte hastig die Lampe aus, ging zum Fenster und zog die Gardine vor. Im gleichen Augenblick hielt draußen ein Auto. »Harry«, meldete sie.
Helen stellte die Flamme wieder höher, und Sarah öffnete die Hintertür. Martineau zwängte sich herein und schloss die Tür hinter sich. Die Ereignisse auf dem Mont de la Rocque hatten ihn in Hochstimmung versetzt. Die Erregung war sei nem bleichen Gesicht unter der SS-Mütze deutlich anzusehen.
»Harry, was ist?«, fragte Sarah. »Ist etwas passiert?«
»Ich glaube, das kann man wohl sagen – aber reden wir spä ter darüber. Ist alles zum Abmarsch bereit?«
»So gut es irgend geht«, sagte Kelso.
»Bringen wir es hinter uns.«
»Sarah und ich gehen voraus und vergewissern uns, dass al les bereit ist«, sagte Helen.
Wieder stellte sie die Flamme niedrig, öffnete die Tür und eilte mit Sarah über den Hof. Gallagher und Guido hoben Kel so hoch, der ihnen die Arme um die Schultern legte.
»Also los«, sagte Martineau. »Ich gehe voraus. Sagt Be scheid, wenn jemand eine Pause braucht.«
Er ließ die Männer vorbeigehen und schloss die Tür.
Das Mondlicht sickerte bleich durch die Äste, und der Weg zeichnete sich deutlich ab. Wieder lag Blütenduft in der Luft. Sarah hakte sich bei Helen unter. Einen Augenblick lang waren sich die beiden Frauen ganz nahe, und Sarah spürte einen Hauch jenes warmen, sicheren Gefühls, das sie nach dem Tode ihrer Mutter erlebt hatte, als ihr Helen nicht nur eine große Stütze gewesen war, sondern sie überhaupt ins Leben zurück geholt hatte.
»Und was ist hinterher?«, fragte Helen. »Wenn ihr zurück seid?«
»Falls wir es schaffen.«
»Sei kein Dummchen. Die Sache klappt. Wenn mir je ein Mann über den Weg gelaufen ist, der genau weiß, was er tut, dann Harry Martineau. Also, was geschieht nach eurer Rück kehr? Willst du weiter als Krankenschwester arbeiten?«
»Das weiß der Himmel«, antwortete Sarah. »Die Sache war immer nur eine Art Lückenfüller. Vor allem interessierte mich die Medizin.«
»Das weiß ich noch.«
»Aber wer weiß, wie es nach diesem Abenteuer aussieht?«, fuhr Sarah fort. »Manchmal kommt mir alles
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