Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Nacht der gefangenen Träume

Nacht der gefangenen Träume

Titel: Nacht der gefangenen Träume Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: A Michaelis
Vom Netzwerk:
der Erdboden ihn verschluckt.
    Aber der Erdboden, das ist allgemein bekannt, verschluckt trotz der schönen Redensart nur auf Vulkaninseln Leute, und auch dort ist es im Allgemeinen selten.

5. Kapitel
    Noch acht Tage
    »Ich hätte ihn gleich fragen sollen«, sagt Frederic. »Vielleicht wäre alles viel einfacher gewesen, wenn ich es getan hätte.«
    »Vielleicht. Aber dann hätten wir nicht so viel zu erzählen.«
    »Warum ringt man sich immer erst dazu durch, etwas zu tun, wenn es zu spät ist?«
    »Ich weiß nicht. Es scheint dir häufiger zu passieren.«
    »Wann denn noch?«
    »Na jetzt, im fünften Kapitel. Du hättest Änna gleich am nächsten Tag alles erzählen können. Von der Maschine und Bork Bruhns’ Zähnen und allem. Aber du hast es nicht getan. Stattdessen hast du gewartet, bis du beinahe in den dunklen …«
    Frederic legt den Finger an die Lippen. »Noch nicht! Du hast doch gesagt, es kommt erst im fünften Kapitel.«
    »Aber wir sind im fünften Kapitel. Es fängt gerade an.«
    »Ach so? Dann bin ich ja gespannt, was du so schreiben wirst.«

    Frederic blinzelte eine Weile, als könnte er den alten Mann durch Blinzeln zurückrufen. Überflüssig zu sagen, dass es nicht gelang.
    »Suchst du was?«, erkundigte sich eine ausladende Frau, die mit einer blauen Schürze in einem Wald aus Astern und Dahlien stand.
    »Haben Sie zufällig gerade einen alten Herrn mit einem Gehstock gesehen?«, fragte Frederic durch die Blumen. »Und mit einer weinroten Weste, an der die Knöpfe fehlen? Er müsste gerade hier aus dem Durchgang zwischen den Ständen gekommen sein.«
    Die Frau schüttelte den Kopf. »Nein. Habe ich zufällig gerade nicht.« Sie lachte. »Du siehst aus, als wärst du einem Geist begegnet!«
    »Hm«, machte Frederic nachdenklich. »Wer weiß.«
    Da nahm die Frau drei große Sonnenblumen aus einem Eimer. Ihre Blätter waren schon leicht welk, aber noch schienen sie in ihren Händen wie kleine Kreise aus Lichtstrahlen.
    »Hier«, sagte sie und reichte Frederic die drei Sonnenblumen. »Ich schenk sie dir.«
    Frederic bezweifelte, dass drei Sonnenblumen sein Problem lösen würden, nickte aber höflich und nahm sie. Man konnte nie wissen.
    Er ging zu Fuß, um besser nachdenken zu können. Tote Katzen, Donnergrollen und Gurken. Während er weiterhin versuchte, den Zusammenhang zwischen ihnen zu finden, trugen ihn seine Füße ganz von selbst in das Viertel, durch das er nachts mit dem Rad gefahren war. Hätte er nur mit jemandem über alles reden können! Bei Tag sahen die Straßen freundlich und hell aus, die Hauseingänge hatten nichts Beunruhigendes, nur Briefkastenklappen, und der Himmel war hoch und blau. Er merkte erst, wo er war, als sich vor ihm die Wand erhob, an die er Donnerstagnacht sein Fahrrad gelehnt hatte.
    Mark, Hedwig und Änna Blumenthal , verkündete das bekannte Schild an der Klingel. Frederic schluckte. Er sah an der mit Rosen bewachsenen Fassade empor.
    Regte sich dort oben nicht ein Vorhang? Beobachtete ihn jemand? Das Fenster zu Ännas Zimmer ging auf den Hinterhof hinaus …
    »Na, Kleener, hat jemand Geburtstag? Für wen sind denn die Blumen?«
    Frederic zuckte zusammen. Hinter ihm stand eine der Frauen, die von Beruf Nachbarin sind. Anstelle von Augen besaß sie ein Fernglas, und ihre Ohren waren unnatürlich groß.
    »Ich – ja – äh«, stotterte er und starrte die Sonnenblumen in seiner Hand an, als sähe er sie zum ersten Mal. »Für meine Tante Hedwig«, sagte er schnell. »Die hat Geburtstag.«
    »Ach was? Ich dachte immer, die Frau Blumenthal, die hätte im Dezember Geburtstag.«
    »Es ist ein etwas verspäteter Strauß«, erklärte Frederic eilig und kam sich ungefähr so intelligent vor wie ein Ofenrohr. »Oder eher ein … etwas verfrühter Strauß. Ich – äh – wollte ihn nur eben abgeben.«
    Er legte die drei Sonnenblumen auf das Fußblech vor der Tür.
    »Besser, du schreibst eine Notiz dazu«, meinte die Nachbarin und beäugte die Sonnenblumen mit ihren Fernglasaugen. »Sonst weiß die Frau Blumenthal nie und nimmer, warum sie im Oktober Blumen bekommt.«
    Frederic nickte und kramte in seiner Hosentasche. Das Einzige, das er fand, war eine alte Busfahrkarte. Die Nachbarin grub aus der geräumigen Tasche ihrer Strickjacke einen Kugelschreiber aus und beugte sich neugierig vor, als Frederic mit der Wand als Unterlage zu schreiben begann. Zuerst wollte er etwas Unsinniges schreiben: Für unser Tantchen, von der lieben Cousine Millie oder Der

Weitere Kostenlose Bücher