Nacht der gefangenen Träume
wirbelte herum, fühlte seinen Atem rasen: War da nicht ein Schatten am Tor gewesen? Hatte auch er, der Verfolger, einen Verfolger?
An der Längsseite der Fabrikhalle, wenige Meter von ihrer Wand entfernt, klaffte ein rechteckiger schwarzer Schacht. Frederic blieb in einiger Entfernung davon stehen und lauschte. Etwas schien sich in dem Schacht zu regen. Sollte er sich näher heranschleichen und nachsehen, was sich dort rührte? Nein. Nicht jetzt. Jetzt musste er dem Alten nach. Doch als er die Tür erreichte, war sie verschlossen. Natürlich. Frederic legte sein Ohr daran. Auch drinnen regte es sich wie Lebendiges. Eine Art Sausen war von dort zu vernehmen, ein Flattern und Flügeln, Knistern und Rauschen, Wispern und Kichern … Etwas huschte über ihn hinweg, und er erschrak. Aber es war nur eine Schwalbe, die durch eine winzige Öffnung in der Mauer ins Innere der alten Fabrikhalle schlüpfte. Schwalben. Frederic lächelte. Jetzt, wo er an der Halle emporsah, entdeckte er noch etwas anderes dort: eine Art bratpfannengroßer runder Metallkreise, die im Abstand von einigen Metern an der Wand angebracht waren, in mehreren Reihen übereinander. Sie sahen aus wie überdimensionale Deckel von Gurkengläsern.
Was tat der alte Mann dort drinnen? Wohl kaum die Schwalben füttern.
Nein, da war noch etwas in der Halle außer den Schwalben.
Mensch! Die Maschine!
Es gab keine andere Erklärung.
Frederic begann, um die Halle herumzuwandern. Vielleicht fand er irgendwo einen zweiten Eingang? Aber die kahlen Mauern erstreckten sich eingangslos vor ihm, anhaltlos, stumm. Er umrundete die Halle ganz, bog um die letzte Ecke, zurück zu der Seite der Fabrik, die er zuerst begutachtet hatte – und die Welt verschwand.
Es gab kein dürres Gras und keine Schrotthaufen mehr. Es gab nur noch weißen Nebel; dicke, undurchdringliche Schwaden. Nebel? Aus heiterem Himmel?
Er tastete um sich, blind, hilflos, verwirrt – panisch wollte er sich umdrehen und fortlaufen. Doch auf einmal war er sich nicht mehr sicher, in welche Richtung er laufen musste. War die Fabrikwand wirklich vor ihm? Oder hinter ihm?
Dann vernahm er das Flüstern. Es kam aus dem Nebel. Er konnte keine einzelnen Worte verstehen. Aber er erkannte die Stimmen. Er hatte sie flüstern hören, nachts, im Hinterhof unter Ännas Fenster und später in seinem eigenen Zimmer: Da war die trägzüngige Stimme von Fyscher, daneben, verwoben mit ihr, zischte die Ziesel – und noch mehr: Dutzende von Stimmen, leise und unangenehm.
Frederic atmete tief durch, um einen klaren, logischen Gedanken zu fassen. Beim Atmen jedoch geriet ihm der Nebel in den Hals, kroch ihm tief in die Lunge, und er musste husten. Und da verstand er. Dies war kein Nebel und auch kein Rauch von brennendem Gras oder brennendem Holz. Die weiße Welt, in der er sich befand, bestand aus Tabakqualm. Und der Qualm schien aus dem Boden zu quellen. Der Schacht! Der schwarze Schacht, den er zuvor gesehen hatte! Jemand in diesem Schacht rauchte jetzt. Aber wer? Der Fyscher und die Ziesel? Was taten sie unter der Erde? Und wer waren die anderen, die im Hintergrund?
Sie warten , hatte der alte Mann auf dem Markt zu ihm gesagt.
Waren es jene dort unter der Erde, die auf Haarbänder, Schnittlauch und tote Katzen warteten?
Frederic ging langsam rückwärts, dorthin, wo er das offene Feld vermutete, fort von der Fabrikhalle. Noch einen Schritt … noch einen … einen letzten … Bewegte er sich im Kreis? Der Qualm tat, als wäre er ein Labyrinth, und ließ Frederic nicht gehen. Sein linker Fuß tastete im Nichts und er schnappte vor Schreck nach Luft. Das war er, der Schacht: gierig, tief und unbarmherzig. Und von dort unten kamen die Stimmen. Den Fyscher und die Ziesel hörte er jetzt nicht mehr, ihre leisen Worte wurden von anderen Geräuschen übertönt, die sich in den Vordergrund drängten: Klagelaute, Schreie, Brüllen, Stöhnen, Seufzen. Er konnte nichts verstehen.
Doch der Schacht wollte, dass er verstand. Der Schacht griff nach ihm, so wie der Abgrund nach dem greift, der Höhenangst hat. Frederic fühlte sich mit Macht in die Tiefe gezogen. Was auch immer dort unten war: Er wollte nicht in es hineinfallen. Als er das dachte, merkte er, dass er das Gleichgewicht bereits verloren hatte. Er öffnete den Mund zu einem Schrei.
In diesem Augenblick trat jemand in den Qualm, packte ihn am Handgelenk und zog ihn zurück. Aus dem Qualm heraus. Er stolperte über die Füße der anderen Person, und einen
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