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Nacht der gefangenen Träume

Nacht der gefangenen Träume

Titel: Nacht der gefangenen Träume Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: A Michaelis
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weißt«, verlangte sie und baute sich vor ihm auf. Hinter ihr schob Windows bunte Fenster über den Pausenbildschirm des Computers.
    »Ich sehe Dinge«, antwortete Frederic. Warum sollte er sie belügen? Die Wahrheit war unglaubwürdig genug.
    »Was für Dinge?«
    »Alles. Ich sehe die Dinge, die andere Leute nicht sehen.«
    »Nein. Ich bin es, die Dinge sieht. Im Spiegel. Wenn jemand Quatsch macht. Wenn jemand Ideen hat. Wenn jemand Widerstand leistet und Fragen stellt. Ich bin die Aufpasserin.«
    »Ich sehe noch mehr Dinge«, erklärte Frederic.
    »Und jetzt glaubst du wohl, Herr Direktor Bruhns macht dich zum Oberaufpasser, oder wie?«, zischte Josephine. Und erst da begriff Frederic. Sie hatte die ganze Zeit darüber nachgedacht, seit heute Morgen. Sie hatte Angst um ihren Posten. Josephine hatte alles falsch verstanden. Josephine war eifersüchtig.
    Sie sah Frederic in die Augen, hob die Gießkanne und begoss ganz langsam die Tastatur des Computers hinter sich. Es gab ein leises Knistern in dem Gerät, die unschuldig-bunten Pausenfenster erloschen, und der Bildschirm wurde schwarz. Probeweise drückte Josephine ein paar Tasten, doch nichts geschah. Der Computer war tot. Josephine schenkte Frederic ein strahlendes Lächeln.
    Dabei kniff sie sich selbst in den Oberarm, sodass rote Flecke entstanden, als hätte jemand anders sie festgehalten. Und dann stieß sie die Tür des Sekretariats auf und schrie in den Gang hinaus, so laut sie konnte: »Hilfe! Hilfe! Frederic dreht durch! Er – au! Aaaau! Hiiiilfe!«
    Eine Viertelstunde später war das Sekretariat voller Menschen. Der Computer war nicht mehr zu retten. Tausend Fragen schwirrten durch die Luft, tausend Leute wollten mit Frederic reden. Er beantwortete keine ihrer Fragen, er redete mit niemandem: Er schwieg.
    »Warum hast du …«, fragten sie. »Du bist wohl ganz außer …«, sagten sie, »wie konntest du nur …«, und: »Hast du eine Vorstellung, wie teuer …«
    Die Kaffeemaschine auf ihrem Stuhl gab aufgeregte Blubbergeräusche von sich. Hätte sie nur sprechen können, dachte Frederic. Die Kaffeemaschine war seine einzige Zeugin. Er fühlte sich unsanft am Arm gepackt und fortgezogen, erhaschte dabei einen kurzen Blick auf Kahlhorst und seine gelben Flügelspitzen – doch auch Kahlhorst schien nicht zu wissen, was er denken sollte. Bruhns zerrte Frederic ins Rektorat und schloss die Tür.
    »Besser, junger Mann«, sagte er, »wir rufen deinen Vater an.«
    Frederic verschränkte die Arme und starrte ihn an. Bruhns schüttelte den Kopf, kam ganz nahe, entblößte seine Zähne … Frederic zwang sich, nicht zurückzuweichen.
    »Beißen Sie mich ruhig«, sagte er. »Ich bin geimpft. Gegen Tollwut und gegen Tetanus.«
    »Beißen?« HD Bruhns fuhr zurück, erschrocken, als hätte er selbst gerade erst gemerkt, was er vorhatte. »Wieso sollte ich dich beißen? Bist du noch zu retten?«
    Er griff nach dem schwarzen Telefon, sah in ein Notizbuch und wählte. Frederic erkannte Hendriks Nummer.
    »Sie sollten Ihren Sohn abholen«, sagte Bruhns in den Hörer. »Ja. Ja, jetzt gleich. Es ist dringend. Etwas passiert? Ja. Oh ja. Allerdings. Grund zur Sorge? Das will ich wohl meinen.«
    Frederic sprang auf, um ihm den Hörer aus der Hand zu reißen, doch HD Bruhns hatte schon aufgelegt.
    »Sie … Sie …«, keuchte Frederic. »Das können Sie doch nicht machen!«
    »Was kann ich nicht machen?«, fragte der HD mit einem zuckersüßen Lächeln.
    »Sie können ihm doch nicht einfach sagen, es wäre etwas passiert …«
    »Junger Mann, du hast gerade einen beinahe neuen Computer ad exitum gebracht – will sagen: zerstört –, der seine paar Tausender wert ist. Und zwar ohne jeden Grund. Ich würde sagen, es ist genug passiert.«
    »Aber darum geht es nicht! Mein Vater denkt jetzt, mir wäre etwas passiert! Sie haben ja keine Ahnung, was …«
    Er brach ab und sank auf seinen Stuhl zurück. Bruhns beugte sich interessiert über den breiten Schreibtisch; seine langen, schmalen, adrigen Hände trommelten unruhig auf dem Holz. »Dir wäre etwas passiert? Denkt er das? Nun … vielleicht ist es Zeit, dass dir etwas passiert. Was meinst du?«
    Hendrik kam zehn Minuten später. Er atmete schwer, und die Wunde blutete wieder – ein dunkles Mal auf seinem hellblauen Pullover. Wenn das so weiterging, würde sie niemals heilen. Hendrik sah von Frederic zu Bruhns und wieder zurück, fragend. Bruhns erklärte. Frederic hörte nicht zu. Hendrik nickte.
    Später im

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