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Nacht der gefangenen Träume

Nacht der gefangenen Träume

Titel: Nacht der gefangenen Träume Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: A Michaelis
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ein. Scheiße war kein schönes Wort, brachte die Situation aber recht gut auf den Punkt: Er konnte nicht zurück nach Hause, falls Bruhns dort lauerte. Er hatte nicht die geringste Ahnung, wo das Paket war. Und die beiden Menschen, die ihm wichtig waren, verstanden kein Wort, wenn er mit ihnen redete.
    Man konnte es ihnen kaum übel nehmen. Die ganze Sache war viel zu verworren geworden. Würde ihm morgen eine Lösung für alles einfallen? Er trabte los, um sich einen Schlafplatz zu suchen. Irgendeine Straße entlang, an irgendwelchen Häusern vorbei, irgendwo … nein: nirgendwohin.
    Der Oktoberwind war kalt und die Nacht hatte schon wieder ihre unheimliche Schlafmaske über das Gesicht der Stadt gezogen. Nach langem Suchen ließ er sich über den Marktplatz wehen und an dessen Ende strahlte ihm das Logo der Sparkasse entgegen. Frederic steuerte darauf zu: Dort drinnen, in dem kleinen Raum vor den Automaten, wäre es wärmer. Er besaß eine Karte, die ihn hineinließ. Zum Glück bestand Hendrik darauf, dass er sein Taschengeld selbstständig auf einem eigenen Konto verwahrte. Oh Hendrik. Zu viel Selbstständigkeit schreibt sich vorne mit großem E und hinten mit insamkeit .
    In dem Raum mit den drei Geldautomaten war es windstill und warm.
    Es saß schon jemand dort auf dem breiten, niedrigen Fensterbrett. Ein Penner.
    »’n Abend«, sagte Frederic. Der Mann sah auf.
    »’n Abend, junger Mann«, sagte er. »Wir kennen uns, glaube ich.«
    Es war kein Penner. Es war der Traumwächter. Frederic erschrak.
    »Ich habe dich auf dem Markt neulich nach ein paar Sachen gefragt«, fuhr der Alte fort. Und da fiel Frederic ein, dass der Traumwächter ja gar nichts von seinem nächtlichen Ausflug in die alte Fabrikhalle wusste. Er hatte ihn nicht gesehen.
    »Was – äh – tun Sie hier?«, fragte er zögernd.
    Der alte Mann stützte den Kopf in die Hände. »Ich bin weggelaufen.«
    »Weggelaufen?«
    »Ja. So wie du.«
    »Woher wissen Sie …?«
    »Du siehst so aus. Mit deinem Rucksack und dem Regencape. Ich könnte wetten, dass du unter dem Cape ein grün-gelb gestreiftes T-Shirt trägst.«
    »Verfluchtes Radio«, sagte Frederic. Aber es nützte nichts zu widersprechen. Der Alte wusste es ohnehin. Wenn er jetzt aufsprang, um Bruhns anzurufen, würde Frederic versuchen müssen, ihn niederzuringen. Also gut.
    »Und vor was sind Sie weggelaufen?«, fragte er.
    »Vor meiner Pflicht.«
    »Ihrer Pflicht?«
    »Ich kümmere mich um so etwas wie einen Zoo. Schwer zu erklären. Ich … aah, ich will das alles nicht mehr. Ich füttere die Tiere dort. Mit komischen Dingen.«
    Frederic nickte. »Mit toten Katzen und Gurken.«
    »Zum Beispiel.«
    »Warum lassen Sie die Tiere nicht frei, wenn Sie Ihren Job leid sind?«
    Der Alte seufzte. »Ich wünschte, ich könnte es.«
    »Sie können es nicht? Aber hat ein Zoowärter die Käfigschlüssel nicht immer bei sich?«
    Abermals ein Seufzen. »Manche Zoowärter nicht. Manche Zoowärter besitzen gar keine Schlüssel.«
    »Sie … besitzen keine Schlüssel?«
    »Nein. Ich bin nur für die Fütterung zuständig. Und dafür, dass es keinen Streit gibt. Es ist nämlich gar nicht einfach, sie zu füttern. Vor allem die bösen. Einer von ihnen besteht darauf, dass ich ihm diese alten Möbel füttere und all die vergilbten Fotos.« Er seufzte. »Verrückt. Für das Abspielen des Bandes bin ich natürlich auch zuständig.«
    »Des – was?«
    Doch der Alte war in brütendes Schweigen versunken. Schließlich stand er auf.
    »Gehen Sie schon?«, fragte Frederic.
    »Ja. Ja, ich gehe. Zurück. Es nützt ja nichts. Ich laufe immer nur für ein paar Stunden weg. Ich schaffe es niemals ganz. Wenn ich nicht zurückgehe, verhungern sie, weißt du. Oder zerfleischen sich gegenseitig. Die Tr… die Tiere.«
    Er nickte Frederic noch einmal zu und schlüpfte ins Freie. Frederic sah ihm nach. Er hatte also keine Schlüssel. Bruhns hatte die Schlüssel. Bruhns war der Schlüssel. Zu allem.
    Frederic begann zu frieren – so warm war der Vorraum auf Dauer doch nicht – und wickelte sich in seine Decke. Als er auch unter der Decke fror, rollte er sich zusätzlich in den Teppich vor den Geldautomaten, und endlich schlief er ein.
    So fanden ihn die beiden Polizisten zwei Stunden später.
    »He«, sagte der eine, »guck dir den an. Das ist mal eine originelle Idee für einen Penner!«
    »Lass ihn liegen«, sagte die andere, eine junge, müde Beamtin, die zu Hause drei kleine Kinder hatte. »Wir haben in fünf

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