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Nacht der gefangenen Träume

Nacht der gefangenen Träume

Titel: Nacht der gefangenen Träume Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: A Michaelis
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wie das zu häufige Händewaschen, das man von Lady Macbeth kannte. Auch sie hatte versucht, das Blut abzuwaschen, lange noch, nachdem ihre Hände sauber waren. Aber Lady Macbeth war von Shakespeare, und sie gehörte in den Literaturunterricht, nicht ins echte Leben.
    Der Fleck war winzig gewesen, nur ein kleiner Tropfen Blut aus Lachmanns Handrücken, mehr nicht. Aber wie verzweifelt er sich gewehrt hatte! Bisher war er der Einzige, der es geschafft hatte, sein verfluchtes Blut auf Bruhns’ Kleidung zu hinterlassen.
    »Wie siehst du wieder aus!«, hörte er eine bekannte Stimme, die nur aus Erinnerung bestand. »Habe ich dir nicht tausendmal gesagt, du sollst auf deine Kleidung achten?«
    Er sah den Matrosenanzug wieder vor sich, spürte seinen sorgfältig gestärkten Kragen … oh Gott, es wurde wieder Zeit. Zeit, seine eigenen Träume abzupumpen. Nur die Albträume natürlich, man musste auf die richtige Einstellung des Hebels achten … aber nicht mehr heute Nacht. Es war schon spät.
    Doch die Erinnerung kümmerte sich nicht um die Uhrzeit.
    »Jetzt guck dir an, was du angestellt hast!«, sagte die Stimme. » Ekelhaft. Du bist ekelhaft .«
    Bruhns stand auf; drückte die Stirn gegen die kalte Fensterscheibe, um ruhiger zu werden. Es half nicht. Er spürte eine andere Scheibe dort. Eine Scheibe, viele, viele Jahre zuvor. Er war wieder der kleine Junge im Matrosenanzug. Er spürte wieder die alte Sehnsucht, aus dem Fenster zu klettern. Die niedrige Mauer entlangzubalancieren, wie die anderen Kinder es taten. Dorthin, wo die Menschen lachten und spielten: in die Freiheit.
    »Bork?«, fragte die Stimme. »Stehst du schon wieder am Fenster? Geh jetzt ins Bett. Morgen musst du ausgeschlafen sein, um die Klassenarbeit zu schreiben. Du weißt: Ich erwarte, dass du der Beste bist. Das Wichtigste im Leben ist, der Beste zu sein. Enttäusch mich nicht schon wieder!«
    Bruhns wandte sich abrupt vom Fenster ab. Ja, es wurde höchste Zeit, die Albträume wieder zu entfernen. Die Maschine musste doch noch einmal laufen in dieser Nacht.
    »Frederic«, flüsterte jemand aus dem Licht heraus. »Ich bin es, Änna.«
    Frederic atmete auf. Gleichzeitig wurde ihm bewusst, dass er nach wie vor nackt mitten im Licht stand. Er spürte, wie er rot wurde, nicht nur im Gesicht; vom Kopf bis zu den Zehenspitzen. Er sah sich nach seinen Kleidern um, doch die Kleider lagen beim Treppenaufgang, dort, wo Änna stand.
    »Mach die blöde Lampe aus!«
    Das Licht erlosch. Einen Moment lang blieb Frederic blind in der Finsternis zurück. Dann gewöhnten sich seine Augen wieder daran. Änna stand immer noch in der offenen Tür, reglos. Sie trug etwas. Seinen Rucksack. Er schien vollgestopft bis zum Platzen, und oben hatte sie verschiedene Dinge daraufgeschnallt.
    »Du siehst aus, als würdest du umziehen«, sagte Frederic.
    »Du siehst aus, als wärst du gerade dabei, dich umzuziehen.«
    Frederic blickte an sich hinab. »Ich habe – äh – eine Dusche genommen.«
    Änna nickte. »Verstehe.« Sie machte einen Schritt auf ihn zu und er hob abwehrend die Hände.
    »Können wir uns weiterunterhalten, wenn ich etwas angezogen habe?«
    »Was denn?«, erkundigte sich Änna. Er hörte ein Grinsen in ihrer Stimme. Sie hatte definitiv ihre Träume wieder.
    Jetzt setzte sie den Rucksack ab, holte etwas heraus und streckte die Hand aus.
    »Ich hab dir trockene Kleider mitgebracht.«
    Frederic knurrte, schnappte sich die Kleider, wie ein wildes Tier ein Stück Fleisch schnappt, und beeilte sich, die Hosen anzuziehen.
    »Ich hoffe, sie passen«, sagte Änna. »Es sind meine. Wir sind ungefähr gleich groß. Nur der Pullover, der gehört dir. Willst du nicht aus dem Regen herauskommen?«
    Frederic schloss den Reißverschluss von Ännas Hose und trat zu ihr unter den heilen Teil des Daches.
    »Komm«, sagte sie. »In den unteren Räumen ist es besser. Ich habe nicht nur Kleider mitgebracht.«
    Nein, Änna hatte nicht nur Kleider mitgebracht. Änna hatte einen ganzen Hausstand mitgebracht. Kurze Zeit später saßen sie gemeinsam auf einer Isomatte in einem leeren Zimmer, die Rücken an die kahle Wand gelehnt, und sahen einer Kerze beim Flackern zu. Änna hatte sich eine Decke um die Schultern gewickelt und war dabei, eine Dose zu öffnen.
    »Man müsste mal eine Art Dosen erfinden, die sich selbst öffnen«, sagte Frederic.
    Änna hielt die Dose über die Kerzenflamme. »Man müsste mal eine Kerze erfinden, die stark genug ist, Fleischklopse in einer Dose zu

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