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Nacht der gefangenen Träume

Nacht der gefangenen Träume

Titel: Nacht der gefangenen Träume Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: A Michaelis
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gegen das Blitzlicht der Kamera, und machte ein ernstes Gesicht, ernst und angespannt, als müsste er sofort nach der Aufnahme des Bildes rasch irgendetwas erledigen, weiterlernen vielleicht, mehr gute Noten schreiben, mehr und mehr und mehr. Der Junge tat Frederic leid. Und er kam ihm bekannt vor. Irgendwo hatte er dieses Gesicht schon gesehen, irgendwo außerhalb eines Fotos: die hageren, sehnigen Hände, die das Zeugnis umklammerten …
    Ein plötzliches Geräusch ließ ihn das Bild vergessen und lauschen. Es klang wie ein hohes Weinen, und es kam von unten, aus dem Erdgeschoss. Die Decke immer noch um die Schultern gelegt, schlich Frederic die Treppe hinunter, folgte dem Weinen, und dort kauerte Änna in einer Ecke vor einer Kiste und hielt ein winziges Kätzchen im Arm. Sie hörte ihn kommen und lächelte zu ihm auf.
    »Es hat Hunger«, sagte sie. »Sieht aus, als hätte es mit seinen Geschwistern in dieser Kiste gewohnt. Aber etwas stimmt nicht.« Sie legte ihre Stirn in steile Falten. »Ich beobachte die Mutter seit einer ganzen Weile. Fünf von ihnen hat sie schon nach draußen getragen.«
    »Guten Morgen«, sagte Frederic.
    »Oh. Guten Morgen. Schau mal, da kommt sie.«
    Eine magere Streifenkatze zwängte sich an Frederic vorbei und schnappte Änna das letzte Katzenkind aus den Händen. Sie hatte es offenbar eilig, das Abrisshaus zu verlassen.
    »Es ist zu merkwürdig«, sagte Änna und stand auf. »Als hätte sie Angst vor etwas. Als wüsste sie, dass bald etwas passiert. Hier.« Sie sah Frederic an. »Passiert bald etwas?«
    »Ich … weiß nicht.« Er sah von Änna zu der Kiste, von der Kiste zu Änna. Als er die kleinen Katzen zuletzt gesehen hatte, war keine Kiste da gewesen, in der sie hätten wohnen können. Er ging langsam hinüber und sah sich die Kiste genauer an. Es war keine Kiste.
    Es war ein großes braunes Postpaket.
    Und die Kätzchen hatten es nicht allein bewohnt. Unter dem Papier, aus dem sie ihr Nest gebaut hatten, wohnte noch etwas. Frederic schob das Papier beiseite.
    Kleine eckige, flache Päckchen. Als er eines davon in die Hand nahm, stellte er fest, dass sich die Oberfläche eindrücken ließ wie die von Knetmasse oder Fimo.
    »Das ist es«, wisperte er. »Das Paket, das Bruhns sucht. Eins der Pakete, mit deren Inhalt er die Träume beseitigen will.«
    Änna kniete sich neben ihn. Sie hob ein Päckchen heraus und drehte es in den Händen. Es stand eine Menge Kleingedrucktes in Buchstaben darauf, die Frederic nicht lesen konnte. Kyrillisch vielleicht. Oder sonst was. Wo hatte Bruhns seine Sondersendungen geordert? Nur ein Wort war deutlich und international lesbar. Ein Wort mit einem Markenschutzzeichen: SCHWINDTEX®
    »Was ist es?«, flüsterte Änna.
    Frederic schüttelte langsam den Kopf. »Ich habe nicht die geringste Ahnung.«
    Kahlhorst hatte die ersten beiden Mittwochstunden frei. Er saß im Lehrerzimmer am Computer und quälte die Maschine durch die Weiten des Internets. Er suchte schon seit Montagvormittag etwas, aber er kannte sich nicht aus im Netz und verirrte sich immer wieder dort wie in einem unterirdischen Labyrinth aus Abwasserkanälen.
    Und er war an dem Punkt angelangt, Google oder Bill Gates oder beiden einen sehr bösen Brief zu schreiben, weil sie ihn mit unsinnigen Suchergebnissen überschwemmten, als er um 9.14 Uhr plötzlich den Atem anhielt und sich weiter vorbeugte.
    SCHWINDTEX . Da war es.
    Und diesmal ergab es Sinn, was ihm die unsichtbaren Leute im Netz verkündeten. Es gab erschreckend viel Sinn. Einen Sinn, der ihm nicht gefiel.
    Er nahm sich nicht die Zeit, den Computer auszumachen. Auf dem Weg hinaus aß er gedankenverloren das kleine, tragbare Schultelefon, das auf Nimmerwiedersehen in dem schwarzen Loch in seinem umfangreichen Bauch verschwand. Um 9.17 Uhr saßen Kahlhorst und sein Bauch auf dem Fahrrad und bewegten sich eilig die Straße hinunter, in Richtung der Wohnung seiner Exkollegin: Lisa Eveningsky.
    Auf seinem Rücken raschelte es federn, als würden dort zwei Flügel ein ganzes Stück auf einmal nachwachsen.
    »Guck sie dir nur an, Änna!«, sagte Frederic. »Wie sie da herumstehen im Hof, all die zukünftigen Professoren und Bankdirektoren! Ihre Köpfe sind so leer wie Luftballons. Keine einzige Idee darin.«
    Sie saßen im ersten Stock des Abrisshauses im Fenster, teilten sich zum Frühstück die letzte Dose kalter Fleischklopse und sahen hinüber in den Schulhof. St. Isaac hatte gerade die erste Pause.
    »Aber bald wird sich alles

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