Nacht der Geister
unsterblich.
Also schloss man den Sohn in einer geheimen Kammer ein, und es wurde jeder neuen Generation auferlegt, sich um ihn zu kümmern und sein Dasein vor allen Außenstehenden geheim zu halten, auch vor denen, die sie liebten. Aber das Band der Ehe lässt keinen Raum für Geheimnisse, und eine unternehmungsfrohe junge Lady Glamis wurde es müde, die Gerüchte zu hören und die Wahrheit hinter ihnen nicht zu kennen. Eines Tages hatte sie zu einem Abendessen geladen, während ihr Ehemann auf Reisen war, und teilte ihren Gästen einen wohldurchdachten Plan mit. Sie sollten Handtücher aus jedem Fenster der Burg hängen. Sie taten es. Danach gingen sie ins Freie und umkreisten die Burg auf der Suche nach dem Fenster ohne ein Handtuch, denn dies würde das Fenster der geheimen Kammer sein. Und sie fanden es, hoch oben im dritten Stock.
Ein winziges Fenster . . . ohne Handtuch. Also stürzte Lady Glamis ins Schloss, die Treppe hinauf, durch die Halle und riss die Tür des Zimmers neben der Geheimkammer auf. Dann klopfte sie die Wand ab und suchte nach der hohl klingenden Stelle, an der die verborgene Tür sein musste. Sie klopfte ein Mal, machte einen Schritt, klopfte ein zweites Mal, machte einen Schritt, klopfte ein drittes Mal . . . und auf der anderen Seite klopfte etwas zurück.«
Trsiel bog auf eine geschwungene Zufahrt ab und ging weiter.
»Und dann?«, fragte ich.
»Das ist alles. Der Geschichte zufolge kam, bevor sie weitere Nachforschungen anstellen konnte, ihr Mann nach Hause. Er sah, was sie getan hatte, und machte ihr die Hölle heiß dafür.
Wenig später hat sie ihn verlassen.«
»Das kann ich ihr nicht verdenken. Aber es ist trotzdem ein lausiges Ende.«
»Du willst ein besseres Ende hören?«
»Bitte.«
Ein tiefer Seufzer. »Was bei diesem Auftrag alles von mir verlangt wird . . . In Ordnung. Als Lady Glamis sich umwandte, sah sie ihren Gatten dort stehen, einen rostigen Schlüssel in der Hand. Bevor sie wusste, wie ihr geschah, hatte er sie gepackt.
Die Geheimtür sprang auf, und Lady Glamis schrie, so laut sie nur konnte aber Lord Garnis stieß sie in die Kammer, schlug die Tür zu und schloss sie mit dem Ungeheuer ein, dem sie nun in alle Ewigkeit dienen musste.«
Ich zog eine Braue hoch. »Dienen inwiefern?«
Er sah mich an und prustete heraus. »Nicht auf diese Art!
Das ist eine jugendfreie Geschichte, Weib, korrumpier sie nicht!«
»Glaub mir, die war schon längst korrumpiert, bevor ich sie auch nur «
Als wir um eine Ecke bogen, sah ich auf und brach ab. Vor und über uns ragte aus einzelnen Nebelbändern Glamis Castle auf.
»Heiliger Bimbam«, flüsterte ich. »Weißt du, wenn man solche Geschichten hört, über geheime Kammern und so, dann glaubt man immer, dass sie selbstverständlich Blödsinn sind.
Wie kann es irgendwo ein ganzes Zimmer geben, von dem keiner weiß? Aber in einem Bau wie dem hier . . . ? Da drin könnte es ein Dutzend von ihnen geben.« Ich sah an der Burg hinauf. »Hier gehen angeblich Geister um? Wundert mich kein bisschen. Zum Teufel, ich hätte selbst nichts dagegen, ein Weilchen hier herumzuhängen. Gibt es ein Verlies?«
»Nein, nur eine Krypta.«
»Die tut’s auch. Aber irgendwie kommt es mir nicht so vor, als ob die Nixe es mit Sehenswürdigkeiten hätte. Sie will hier irgendwas Bestimmtes, aber hier ist in diesem Fall ziemlich viel Bausubstanz. Hat Sullivans Vision dir irgendwas Konkretes gezeigt?«
»Nur kurze Bilder von verschiedenen Räumen des Schlosses.«
»Als suchte sie nach etwas?«
Er nickte. »Und ich nehme an, sie ist inzwischen schon wieder weg.«
»Das heißt, wir suchen wahrscheinlich nicht nach der Nixe, sondern nach dem, was sie hierher geführt hat. Aber wenn in der Burg Gespenster umgehen, hat es wahrscheinlich etwas damit zu «
»Das ist ja gerade das Problem. Hier geht nichts um.«
»Was?«
»Hundertprozentig gespensterfrei.«
Ich runzelte die Stirn. »In so alten Gebäuden geht doch immer irgendwas um. Vielleicht nicht die Sorte, die stöhnt und mit Ketten rasselt, aber richtige Geister. Die, die zwischen den Dimensionen feststecken, und die, die einfach die Atmosphäre mögen.«
»In der Regel ist das der Fall. Aber hier nicht.«
»Warum nicht?«
Trsiel schüttelte den Kopf. »Ich habe keine Ahnung. Im letzten Jahrhundert wurde einer der Aufgestiegenen beauftragt, der Sache nachzugehen, aber irgendetwas Wichtigeres ist dazwischengekommen, und er wurde nie zurückgeschickt. Hier passiert nie etwas Übles.
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