Nacht der Geister
dem Schreibtisch war ein Regalbrett voller Fotos angebracht. Gedächtnisbilder nennen wir sie in der Geisterwelt. Wir haben keine Kameras und keinen Zugang zu alten Bildern, aber wir brauchen sie auch nicht. Wenn wir ein Bild aus unserem Gedächtnis hervorzerren, können wir ein Foto daraus machen, so wie ich es mit dem Bild von Amanda Sullivan getan hatte.
Auf Kristofs Regal standen Bilder von allen, die ihm wichtig waren: seinen Eltern, Brüdern, Neffen und natürlich seinen Söhnen. Dazu kamen zwei Bilder von Savannah, eines, wie sie ausgesehen hatte, als er sie kennengelernt hatte, und ein neueres. Und dann gab es die Bilder von uns beiden, von Dingen, die wir zusammen getan hatten fünfzehn Jahre zuvor und später, nach unserem Tod. Und zwei Bilder von mir.
Zwei Tage zuvor hatte ich ihm vorgeworfen, er verlangte eine Entscheidung zwischen Savannah und ihm selbst. Jetzt starrte ich die Bilder an und merkte, dass ich diese Entscheidung beinahe getroffen hätte, wenn auch unfreiwillig. Ich würde jetzt gern sagen, dass ich niemals ein Engel geworden wäre, ohne über alle Aspekte Bescheid zu wissen, aber das wäre, als sagte ich, dass ich Kristof niemals Savannah vorenthalten hätte, ohne zuvor zu fragen, ob es ihn auch nur interessiert hätte.
Oder zu behaupten, ich hätte niemals versucht, aus dieser Anlage zu fliehen, ohne meinen Fluchtplan zuerst auf Schwachstellen abzuklopfen. Erst handeln, hinterher fragen, den Preis dafür in alle Ewigkeit zahlen das war mein Weg durchs Leben gewesen. Hätte Trsiel mir nicht den Preis genannt, den man für die Engelrolle zahlte, ich hätte mich in einem Jenseits wiedergefunden, in dem ich mich für Savannah und gegen Kristof entschieden hatte für die Illusion einer Beziehung zu meiner Tochter und gegen die wirkliche Beziehung mit Kristof.
Ich riss mich von den Fotos los und ging hinaus auf den Steg; meine Gedanken wirbelten mir immer noch durch den Kopf.
Ich sah Kristof den Hang hinunterkommen, den Blick gesenkt und in Gedanken unverkennbar woanders. Dann blickte er auf. Als er mich entdeckte, wurde seine Stirnrunzeln zu einem breiten Lächeln, er ging schneller und rief eine Begrüßung zu mir hin, die das leise Klatschen des Wassers am Bootsrumpf übertönte.
Als ich ihm entgegenging, verblasste das Grinsen. Er sagte nichts, beeilte sich aber noch mehr, zu mir zu kommen. Ich blieb am Anfang des Stegs stehen und wartete, und alles, woran ich in diesem Augenblick denken konnte, war, wie nahe ich daran gewesen war, das Einzige wegzuwerfen, das ich in diesem Jenseits wirklich besaß.
Ich hob die Hand und berührte seine Wange. Warum fühlt sich die Haut hier immer noch warm an, lange nachdem das Blut verschwunden ist, das ihr die Wärme gab? Vielleicht ist es die Erinnerung an Wärme, die wir spüren, oder vielleicht ist es auch etwas, das tiefer geht als die Biologie.
Kristof legte die Hand über meine und drückte sie an seine Wange. Dann zog er meine Hand an den Mund und küsste die Handfläche; die Berührung war so leicht, dass sie einen Schauer durch mich hindurchjagte. Ich sah mich um, aber es war niemand in der Nähe, der uns hätte sehen können. Niemand außer einer gelegentlichen Möwe oder Seeschwalbe über uns.
Ich zog die Hand aus Kristofs Griff und öffnete den obersten Knopf seines Hemdes. Ich schloss die Augen, legte ihm die Hände auf die Brust und zeichnete mit den Fingern das Schlüsselbein nach. Hinzusehen war unnötig; meine Finger kannten den Weg, so wie sie den Weg über jede Stelle seines Körpers kannten, Nervenstränge, die mir ins Hirn gebrannt waren, vor vielen Jahren im Gedächtnis verankert, als hätte ich gewusst, dass ich eines Tages meine Erinnerungen brauchen würde, wenn ich ihn sehen wollte.
»Ich habe immer wieder von dir geträumt«, sagte ich, während ich die übrigen Knöpfe öffnete und die Finger an seiner Brust hinabgleiten ließ. »Lange nachdem ich gegangen war. Bis zum Ende. Zwölf Jahre war ich von dir weg, und ich bin immer noch mitten in der Nacht aufgewacht und habe gedacht, du hättest gerade eben das Zimmer verlassen und ich könnte dich noch riechen. Sogar die Matratze hat sich warm angefühlt.«
Ich öffnete den Reißverschluss und schob seine Hose an seinen Hüften hinunter. »In manchen Nächten war es einfach nur das ich habe geträumt, dass du neben mir liegst und schläfst.
In anderen . . . « Ich schauderte und schob eine Hand in seinen Slip, während ich ihn mit der anderen nach unten zog. »In
Weitere Kostenlose Bücher