Nacht der Geister
wie Kletten und rieben wunde Stellen in mein Selbstwertgefühl. Ich musste den Kopf klar bekommen, musste irgendetwas tun. Aber hier gab es nichts zu tun. Außer nachzudenken.
»Hallo! Himmeldonnerwetter, antwortet mir! Ich hab’s kapiert! Jetzt macht die Scheißtür auf!« Es war Nacht. Hier änderte sich das Licht nie, es gab nur einen trüben Schein, der von nirgendwoher kam, die Leere erhellte, einen daran erinnerte, dass niemand hier war und es nichts zu sehen gab. Aber mein Zeitgefühl teilte mir mit, dass es Nacht war. Kristof würde bei mir zu Hause sein und warten, weil er über den Zeitjob reden wollte, den er erwähnt hatte.
Ich schloss die Augen und konzentrierte mich auf einen Kommunikationszauber.
Hey, Kris? Meinst du, du könntest mir weiterhelfen?
Nichts.
Meine innere Uhr teilte mir mit, dass die Nacht vergangen war.
Geschlafen hatte ich nicht. Wir können schlafen, aber ich hatte es noch nie fertiggebracht, mich einfach zusammenzurollen und einzuschlafen nicht, wenn ich nicht sehr, sehr müde war.
Ein Geist wird nicht müde. Also schlief ich nicht, wenn ich nicht in meinem Bett lag.
Ich war seit über vierundzwanzig Stunden hier. Da war ich mir sicher. Okay, ich hatte lang genug darauf gewartet, dass etwas passierte. Es wurde Zeit, die Sache selbst in die Hand zu nehmen . . . oder vielleicht eher die Füße. Vielleicht konnte ich mich nicht hier rausbeamen, aber ich konnte immer noch laufen. Also suchte ich mir eine Richtung aus und ging los.
Und ging. Wenn ich mich umsah, sah ich die gleiche verdammte Umgebung, die ich beim Losgehen gesehen hatte, als wäre ich auf einem Laufrad. Aber ich bewegte mich vorwärts, ich wusste es. Das völlige Fehlen von Anhaltspunkten ließ es nur so erscheinen, als käme ich nicht voran. Jede Dimension, die ich je besucht hatte, war zu Ende gegangen. Diese würde es ebenfalls tun, wenn ich nur weit genug lief.
Es war wieder Nacht, und ich hatte das Ende nicht erreicht. Ich hatte überhaupt nichts erreicht. Die Beine taten mir nicht weh.
Kein Schmerz bedeutet unbegrenzte Energie. Ich konnte bis in alle Ewigkeit weitergehen, und verdammt noch mal, genau das würde ich auch tun, wenn das nötig war, um hier
Der Thronsaal erschien, genau so, wie ich ihn verlassen hatte; die alte Hexe war immer noch am Spinnrad.
»Zufrieden?«, fauchte ich; meine Stimme krächzte wie eingerostet. »Ich wette, ihr habt euch gut amüsiert. Habt ihr zugesehen? Abgewartet, wie lang es dauert, bis ich durchdrehe? Tut mir leid, wenn ich euch enttäuscht habe.«
Sie sah von ihrem Spinnrad auf. Ihr Blick traf auf meinen, ihr Gesicht war ausdruckslos.
»Ich glaub’s einfach nicht, dass ihr das getan habt«, sagte ich.
»Da ist diese Nixe unterwegs und bringt Leute um, und ihr habt mich zwei Tage lang dort schmoren lassen!«
»Das waren zwei Minuten, Eve.«
»Blödsinn! Da sind Tage vergangen!«
»Ja. Fast drei. Aber hier waren es nur Minuten. Die Nixe hat unsere erste Jägerin dort hingeschickt, und wir haben fünf Jahre gebraucht, um sie zu finden. Das ist es, von dem ich wollte, dass du es siehst. Das ist es, was diese Nixe tun kann.«
Fünf Jahre unserer Zeit? Das mussten dort unten Menschenleben gewesen sein. Allein, nichts zu sehen, zu hören, zu fühlen, zu riechen . . .
Die mittlere Parze erschien. »Sie ist wahnsinnig geworden, Eve. Wir haben unser Bestes getan, aber sie ist seit über sechzig Jahren wieder hier bei uns und nicht gesünder als an dem Tag, an dem wir sie gefunden haben.«
»Und die anderen?«, fragte ich langsam. »Ihr habt gesagt, es hat noch zwei andere gegeben.«
»Der Zweite hat uns im Stich gelassen. Den Dritten hat die Nixe in eine andere Dimensionsebene geschleudert.«
»Wohin?«
»Wir wissen es nicht.«
Mein Kopf fuhr hoch. »Ihr habt ihn noch nicht gefunden?
Nehmt es mir nicht übel, wenn die Jobbeschreibung auf einmal nicht mehr so attraktiv klingt, aber «
»Inzwischen haben wir Schutzvorrichtungen. Wir sind hinter ihre Tricks gekommen.«
»Sie kann mich also nicht in eine andere Dimension schicken?«
»Nicht auf längere Zeit.«
»Aha.«
Die alte Parze übernahm die Unterhaltung; ihre Augen funkelten. »Ist wohl ein bisschen zu viel für dich, Eve?«
»Macht euch nicht die Mühe, mich zu provozieren«, sagte ich. »Ich mache das, weil ich ein Versprechen gegeben habe, und ich halte meine Versprechen. Ihr habt mir das Schlimmste gezeigt, also bin ich jetzt gewarnt und bereit zum Einsatz.«
»Gut, dann möchten wir als Erstes,
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