Nacht der Geister
Missbilligung seines Großvaters. Es hatte Kris so stolz gemacht, wie er es sich nie hätte träumen lassen.
Sean zuckte zusammen, als er das Licht im Wohnzimmer sah.
Er wollte sich gerade an der Tür vorbeischleichen, als Austin sich umsah.
»Hey, Casanova!«, rief Austin. »Ich dachte, du wolltest heute Abend arbeiten. Die Bibliothek schließt um elf.«
»Ich war noch auf ein paar Drinks in einer Bar.«
Austin lehnte sich über die Sofalehne und grinste. »Ein paar, ja? Wie heißen sie?«
Sean murmelte etwas und verschwand in Richtung Badezimmer. Austin nahm die Abkürzung durch die Küche, um ihm den Weg abzuschneiden.
»Komm schon. Mir kannst du alles erzählen. Was ist los?
Hast du jemand Ernsthaften kennengelernt? Granddad glaubt das. Er hat heute Abend angerufen, und als ich ihm gesagt habe, dass du nicht da bist, hat er gesagt, du sollst sie nächsten Monat mal mitbringen.«
Ein panischer Ausdruck glitt über Seans Gesicht, aber er hatte sich rasch wieder unter Kontrolle und schob sich mit einem Achselzucken an Austin vorbei.
Sean hatte tatsächlich jemanden kennengelernt, jemanden, den er seiner Familie mit Sicherheit nicht vorstellen würde. Für einen Kabalensohn gab es nur eins, das noch schlimmer war, als mit einer Hexe nach Hause zu kommen mit jemandem nach Hause zu kommen, der niemals den alles entscheidenden Erben zur Welt bringen würde.
Selbst als Teenager hatte Sean noch zu seinem Vater aufgeblickt und alles getan, von dem er glaubte, dass Kris es wollte, nicht weil Kris es verlangte oder auch nur erbat, sondern weil Sean war, wie er war freundlich und entgegenkommend.
Er war bereit gewesen, Kris’ Beispiel zu folgen, pflichtgetreu zu heiraten und den oder besser noch die Erben zu zeugen.
Aber Kris war nicht mehr da, und mit ihm war Seans einziger Grund verschwunden, gegen seine eigenen Neigungen anzukämpfen. Dennoch verbarg er sie nach wie vor; er war noch nicht so weit, dass er diesen Schritt hätte tun und in Kauf nehmen können, vom Rest seiner Familie ausgestoßen zu werden.
Aber der Tag würde kommen, an dem er den entscheidenden Schritt tun würde, und dann würde er Unterstützung brauchen.
Die Unterstützung seines Vaters. Noch ein Grund, weshalb ich eine Methode finden musste, wie wir in die Welt der Lebenden vorstoßen konnten. Das schuldete ich Kris.
Und jetzt hatte ich mir etwas Zeit mit Kristof selbst verdient.
Ich traf ihn auf seinem Hausboot an. Er lag auf seinem schmalen Kojenbett und las. An der Brille, die auf halber Höhe auf seiner Nase saß, erkannte ich, dass es etwas Anspruchsvolleres war als Comics. Natürlich brauchte Kris die Brille nicht; all unsere körperlichen Unzulänglichkeiten verschwinden mit dem Tod. Aber er hatte vor seinem Tod seit etwa zehn Jahren eine Lesebrille verwendet, und sie aufzusetzen, war zu einem Teil seiner Studienroutine geworden. Wie das Essen, das Schlafen, sogar der Sex es gibt Dinge, die wir auch als Geister noch tun, wenn die Notwendigkeit längst nicht mehr gegeben ist.
Ich stand sekundenlang in der Tür und betrachtete ihn, wie er da ausgestreckt auf dem Bett lag, die Hosen ausgezogen, das Hemd offen, die Socken dagegen noch an den Füßen, als hätte er mit dem Ausziehen angefangen und es dann über seiner Lektüre vergessen.
Ich sprach eine Verschwimmformel, um unbemerkt näher kommen zu können. Als ich es zum Fußende geschafft hatte, konnte ich den Titel seines Buches lesen: Traditional German Folklore. Ich zögerte nur eine Sekunde lang; dann sprang ich.
Kris wälzte sich zur Seite. Ich krachte ins Bett und bekam einen Mundvoll Kissen ab.
»Du hast mich gesehen?«, fragte ich, als ich den Kopf hob.
»Als du zur Tür reingekommen bist.«
»Mist.« Ich rappelte mich auf und setzte mich auf die Bettkante. »Recherchierst du über Nixen?«
»Ich dachte, ich fülle einfach ein paar Wissenslücken, und vielleicht kann ich dir zugleich ja helfen.«
»Das wäre nicht nötig gewesen «
Er hob eine Hand, um mich zu unterbrechen, aber ich war schneller. Ich legte ihm einen Finger auf die Lippen.
»Was ich sagen wollte: Das wäre nicht nötig gewesen, aber danke. Was hast du herausgefunden?«
Er bestätigte mir, dass Nixen wie alle anderen Varianten von Kakodämonen vom Chaos lebten. Wobei der Ausdruck irreführend ist, wenn man ihn wörtlich nimmt sie brauchten das Chaos nicht zum Überleben. Für Kakodämonen spielt Chaos eine ähnliche Rolle wie der Alkohol für Menschen. Sie haben Vergnügen daran und verschaffen
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