Nacht der Hexen
Stereotyp, wenn ein erheblicher Prozentsatz der gegebenen Gruppe ihm zu entsprechen scheint. Anders als bei manchen Stereotypen ist das des moralisch korrupten Magiers unglücklicherweise nicht unzutreffend.«
»Absolute Macht führt zu absoluter Korruption.«
»Genau das. Diejenigen, die dem Traum von absoluter Macht nachjagen, wie viele Magier es tun, sind irgendwann von ihm besessen.«
»Du wünschst dir also keine größeren Kräfte?«
Er erwiderte meinen Blick. »Was ich mir wünsche, ebenso wie du es meiner Ansicht nach tust, ist ein größeres Wissen – das bestmögliche Repertoire von Formeln und die Kraft, mein Bestes mit ihnen zu tun. Wenn ich sage, dass es mich freut, dass du diese Grimorien gefunden hast, dann muss ich zugeben, ich kann nicht anders, als dies zugleich als eine Gelegenheit zum Erlernen neuer Formeln zu betrachten.«
»Das kann ich dir kaum übel nehmen. Aber meinst du nicht, dass wir vielleicht naiv sind? Zu glauben, dass wir von unserer eigenen Suche nach Macht niemals korrumpiert werden können?«
»Vielleicht.«
»Na, das ist mal eine eindeutige Antwort.«
»Wäre es nicht naiv von mir, mir einzubilden, dass ich unmöglich naiv sein kann?«
»Halt«, sagte ich. »Jetzt schwirrt mir der Kopf. Es wird Zeit, eine neue Formel auszuprobieren.«
Er rückte auf seinem Sitz nach vorn. »Hättest du … etwas dagegen, wenn ich zusehe?«
Ich grinste. »Überhaupt nicht.«
Ich suchte meine Bücher zusammen, und wir gingen hinunter in den Keller.
Wenn ich sage, ich hoffte eine neue Formel zu lernen, dann meine ich genau das:
eine
neue Formel. So gern ich das ganze Buch Probe gefahren hätte – schon die Hoffnung, eine einzige Formel zu lernen, mochte etwas zu optimistisch sein. Um eine Formel aus den Tertiärgrimorien sprechen zu können, musste ich erst eine neue aus dem Sekundärbuch meistern, und schon das würde seine Zeit brauchen.
Ich dämpfte meinen eigenen Enthusiasmus noch weiter ab, indem ich beschloss, methodisch vorzugehen. Heute Nacht wollte ich nicht einfach nur etwas Neues ausprobieren, sondern meine Theorie überprüfen. War es nötig, die entsprechende Sekundärformel zu lernen, bevor man zur Tertiärformel übergehen konnte?
Um dies zu testen, nahm ich mir die Erstickungsformel vor. Ich hatte sie schon stundenlang ohne jeden Erfolg ausprobiert; insofern war sie ein wunderbares Versuchsobjekt. Wenn ich sie sprechen konnte, nachdem ich die zugehörige Sekundärformel gelernt hatte, würde das meine Theorie bestätigen. Die Erstickungsformel war als elementar, Luft, Klasse fünf kategorisiert. Ein kurzes Durchblättern des Sekundärbuches bestätigte mir, dass ich nicht eine einzige Luftformel daraus gelernt hatte. Perfekt.
Die der Erstickungsformel entsprechende sekundäre Luftformel war ein Zauber, mit dem man einen Schluckauf verursachen konnte. In der Grundschule hätte das wahrscheinlich Spaß machen können, aber für jeden Menschen von mehr alszehn Jahren war es eine reichlich alberne Formel. Nichtsdestoweniger klang es folgerichtig; sowohl ein Schluckauf als auch ein Erstickungsanfall sind nichts anderes als Unterbrechungen der Luftzufuhr.
Als ich diese Grimorien das erste Mal durchgesehen hatte, hatte ich die Formel ausprobiert, einfach zum Spaß, es dann aber aufgegeben, bevor ich sie gemeistert hatte. Wenn meine Theorie zutraf, könnte hier die Erklärung dafür liegen, dass die Erstickungsformel gewisse Anzeichen dafür hatte erkennen lassen, dass sie irgendwann funktionieren könnte – immerhin hatte ich mich mit der Sekundärformel einmal beschäftigt.
Mir kam ein Gedanke. Ich zerrte mein Zirkelgrimorium hervor und schlug eine Seite weit hinten auf: eine Formel zur Behebung von Schluckauf, die ich vor Jahren gelernt hatte. Und dies war eine Luftelementarformel, Klasse fünf. Die Primärformel. Erst lernt man, einen Schluckauf zu heilen, dann lernt man, einen zu verursachen, dann lernt man, jemandem den Atem ganz abzuschneiden.
»Macht es dir etwas aus, wenn ich dir einen Schluckauf verpasse?«, fragte ich Cortez.
»Was?«
»Schluckauf. Ich muss dir einen Schluckauf verursachen. Ist das in Ordnung?«
»Ich kann nicht behaupten, dass mir schon jemals ein Mädchen
das
Angebot gemacht hätte.«
»Es ist eine Formel«, sagte ich. »Keine Sorge, ich kann ihn auch wieder beheben.«
»Das musst du mir beibringen. Das Beheben, nicht das Verursachen. Das mit dem Luftanhalten hat bei mir noch nie funktioniert.«
»Nein? Dann warte bloß mal ab, bis du
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