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Nacht der Hexen

Titel: Nacht der Hexen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kelley Armstrong
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die Formel siehst, die ich dann als Nächstes ausprobieren will.«
    Bevor ich die Schluckaufformel auch nur ausprobieren konnte, musste ich sie ein paarmal üben. Cortez dabeizuhaben störte mich nicht weiter, wahrscheinlich weil er rücksichtsvoll genug war, währenddessen hinter mir Platz zu nehmen, so dass ich nicht das Gefühl hatte, vor Publikum aufzutreten.
    Nachdem ich zwanzig Minuten lang herumprobiert hatte, klang der Rhythmus richtig, und ich bat Cortez, sich vor mich zu setzen. Er tat es, wobei er sich zur Wand drehte, statt mich direkt anzusehen. Das machte es einfacher. So einfach, dass die Formel beim zweiten Versuch funktionierte. Danach musste ich es natürlich noch ein halbes Dutzend Male versuchen, um ganz sicher zu gehen, dass ich sie wirklich beherrschte. Als ich noch einen weiteren Versuch erwog, erklärte Cortez, ich hätte die Formel zur Gänze gemeistert, und bat um etwas Zeit, um wieder zu Atem zu kommen.
    Als Nächstes ging ich zu der Erstickungsformel über. Ich begann damit, dass ich sie an mir selbst ausprobierte – Cortez hatte für einen Abend schon genug mitgemacht. Es dauerte zwanzig Minuten, bis ich die Beschwörung rezitieren konnte. Es war keine schwierige Beschwörung. Sie war lateinisch, die magische Sprache, mit der ich am vertrautesten war. Die Verzögerung hatte einen einfachen Grund – Nervosität. So viele meiner Hoffnungen ruhten auf dieser einen Formel, dass ich über die Worte stolperte. Ich versuchte mir einzureden, dass es nicht so sehr darauf ankam, dass ich eben etwas anderes finden würde, wenn dies fehlschlug, aber es nützte nichts. Ich wusste, wie wichtig dies war, und ich wagte die Worte kaum auszusprechen – als ob die Magie verfliegenwürde, wenn ich diesmal versagte, und ich sie niemals wieder finden würde.
    Nachdem ich mich ein paarmal verhaspelt hatte, änderte ich die Taktik und begann mit der zweiten Zeile. Indem ich den Beginn der Formel wegließ, stellte ich sicher, dass die Beschwörung fehlschlagen würde, und so konnte ich mich auf die Rezitation selbst konzentrieren. Und weil ich es schon öfters mit dieser Formel versucht hatte, fand ich mich bald in den Rhythmus hinein.
    Eine gut gesprochene Formel ist reine Musik. Nicht eine Melodie oder ein Lied – es ist die Musik der Sprache selbst, die Musik Shakespeares oder Byrons. Wenn Empfindung und Überzeugung hinter den Worten stehen, haben sie die Macht einer Oper: man braucht die Worte nicht einmal zu verstehen, um ihre Bedeutung zu spüren.
    Ich schloss die Augen und legte mein ganzes Herz in die Worte, jedes Lot Sehnsucht und Frustration und Ehrgeiz. Meine Stimme schwoll an, bis ich nicht mehr spürte, wie die Worte aus meiner Kehle kamen, bis ich sie nur noch rings um mich widerhallen hörte. Wieder und wieder wiederholte ich die Beschwörung. Dann hörte ich die erste Zeile ungebeten fließen. Die Worte schwollen zu einem Crescendo an, und mit der letzten Zeile flog mir der Atem von den Lippen. Ich keuchte und rang nach Luft.
    Sobald ich wieder atmen konnte, begannen die Worte von vorn wie von allein. Das Fenster über meinem Kopf rappelte, als ich die Beschwörung rezitierte. Rosenzweige peitschten und kratzten am Glas. Als die Formel zu Ende war, war ich vollkommen außer Atem.
    Ich begann von neuem. Die Klappe der Kellertreppe schlug und stöhnte. Als ich mich dem Ende näherte, flog die Türplötzlich auf. Ein Windschwall fegte herein und warf die Körbe mit frisch gewaschener Wäsche um. Mit dem letzten Wort schoss mir der Atem mit solcher Gewalt aus den Lungen, dass ich nach vorn kippte und einen Moment lang alles schwarz wurde.
    Das Nächste, was ich wahrnahm, war Cortez, der mich an den Schultern gepackt hatte. »Alles in Ordnung?«, fragte er, als ich die Augen öffnete.
    Meine Lippen verzogen sich langsam zu einem Grinsen. »Ich glaube, es hat geklappt.«
    »Das würde ich auch annehmen«, sagte er mit einem Blick auf die Wäschehaufen, die uns umgaben. »Und nachdem du jetzt bewiesen hast, dass die Formel funktioniert und du sie erfolgreich sprechen kannst, wirst du wahrscheinlich nichts dagegen haben, wenn ich es meinerseits versuche.«
    Ich riss das Grimorium fort. »Nein. Meins.«
    Ich schwenkte das Buch lachend eben außerhalb seiner Reichweite. Er grinste und griff danach, aber ich brachte es in Sicherheit, wobei ich fast nach hinten gefallen wäre. Er stürzte vor. Als sein Gesicht dicht vor meinem inne hielt, zögerte er und zwinkerte verblüfft. Ich wusste, was er dachte.

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