Nacht der Hexen
Sargs und umfasste die Kante. Niemand rührte sich. Ich bin mir sicher, dass während der nächsten zehn Sekunden im ganzen Raum nicht ein Herz schlug. Die Hand packte die Kante, drückte sie, entspannte sich und glitt tiefer, als wollte sie das glatte Holz streicheln. Wieder ein Stöhnen – ein nasses, gurgelndes Stöhnen, bei dem sich jedes Härchen an meinem Körper sträubte. Die Sehnen der Hand spannten sich, als sie fester zupackte. Dann setzte Cary sich auf.
Im trüben Licht des Raums verging eine kurze Sekunde, in der Grantham Cary junior lebendig aussah. Lebendig und unversehrt und wohlbehalten. Vielleicht war es das Halbdunkel oder die Selbsttäuschung eines hoffnungsvollen Geistes. Er setzte sich auf, und er wirkte lebendig. Lacey stieß ein Keuchen aus, nicht des Entsetzens, sondern des Jubels. Hinter mir schluchzte Grantham Cary senior auf, ein herzzerreißender Freudenlaut; auf seinem Gesicht lag ein Ausdruck solcher Sehnsucht und Hoffnung, dass ich mich abwenden musste.
Cary stieg aus dem Sarg. Wie? Ich weiß es nicht. Ich hatte ihn unmittelbar nach seinem Tod gesehen; ich wusste, dass kein Knochen in seinem Körper mehr heil sein konnte. Aber ich wusste sehr wenig von diesem Aspekt der Nekromantik. Ich sah nur, wie er sich unter unseren Augen aus dem Sarg und auf die Füße kämpfte. Und als er ins Licht trat, verflog die gnädige Illusion der Unversehrtheit.
Die Angestellten des Bestattungsinstituts hatten ihre Arbeit getan und das Blut abgewaschen … und es hatte nichts bewirkt, als die ganze monströse Wahrheit seiner Verletzungen ans Licht zu bringen. Die andere Seite seines Kopfes war rasiert und zerrissen und zusammengenäht und zerschmettert – jawohl, zerschmettert – das Auge fort, die Wange eingesunken und eingerissen, die Nase – Nein, es reicht.
Einen Moment lang hielt das Schweigen an, als Cary dort stand – der Kopf schwankte auf dem gebrochenen Hals, das verbliebene Auge versuchte sich zu orientieren, das nasse Stöhnen drang so regelmäßig wie ein Atem über seine Lippen. Dann sah er Lacey. Er sagte ihren Namen – oder vielmehr eine fürchterliche Parodie ihres Namens, halb gesprochen, halb gestöhnt.
Cary setzte sich auf seine Frau zu in Bewegung. Er schien weniger zu gehen als sich vorwärts zu zerren, ruckartig und schwankend. Die eine Hand streckte sich nach ihr aus. Die andere zuckte, als versuchte er sie zu heben und könnte es nicht. Sie schlug und wand sich; der Stoff des Ärmels schabte hörbar an seiner Seite.
»-ac-ee-«, sagte er.
Lacey wimmerte. Sie wich zurück. Cary hielt inne. Sein Kopf schwankte und zuckte; die Lippen verzogen sich.
»-ac-ee?«
Er griff nach ihr. Dann wurde sie ohnmächtig – fiel zu Boden, bevor jemand sie auffangen konnte. Bei ihrem Sturz erwachte der ganze Raum zum Leben. Leute stürzten zur Tür, hämmerten und schrien.
»-ad-«, stöhnte Cary.
Sein Vater erstarrte. Als er seinen Sohn anstarrte, bewegten sich seine Lippen, aber es kam kein Laut heraus. Dann gingseine Hand zur Brust. Jemand zog ihn zurück und schrie nach einem Krankenwagen. Am anderen Ende des Raums begann eine Frau zu lachen, ein hohes Gelächter, das schnell zu einem atemlosen Schluchzen wurde. Cary schwenkte herum und starrte die schluchzende Frau an.
»Wa-wa-wa-«
»Peter!«, brüllte eine Frauenstimme. »Peter, du Kacker, wo bist du?«
Jeder, der von dem Schock nicht vollkommen erstarrt war, sah, wie eine Frau in einem grünen Kleid durch die Vorhänge hinter Carys Sarg trat.
»Peter, du Kacker! Ich bring dich um!«
Die Frau ging bis in die Mitte des Raums, blieb stehen und musterte die Menge.
»Wer zum Teufel seid ihr Typen? Wo ist Peter? Ich schwör’s bei Gott, diesmal bring ich den Kacker um!«
Die Frau war jung, wahrscheinlich nur ein paar Jahre älter als ich. Eine dicke Schicht Make-up konnte das blaue Auge nicht ganz verdecken. Sie war dünn, spindeldürr, die Sorte von Dürre, die auf Drogen und Verwahrlosung hinweist. Während sie sich finster im Raum umsah, strich sie sich einen blonden Pony mit schwarzem Haaransatz aus der Stirn … und enthüllte eine kugelgroße Trichteröffnung in ihrer Schläfe.
»Sie ist – sie ist –«, stammelte jemand.
Die Frau fuhr zu dem Sprecher herum und stürzte sich auf ihn. Der Mann brüllte und stolperte nach hinten, als sie ihn erreichte; die Nägel rissen ihm das Gesicht auf.
Eine ältere Frau fuhr zurück und stieß dabei gegen Cary. Als sie sah, was sie angerempelt hatte, kreischte sie, wandte
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