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Nacht der Hexen

Titel: Nacht der Hexen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kelley Armstrong
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Schreie derer, die noch im Gang gefangen waren.
    Ich rappelte mich vom Teppich auf und sah mich um. Wir waren in einem großen Raum, der ringsum mit Vorhängen dekoriert war. Kleine Gruppen von Trauergästen starrten uns an. Jemand kam gerannt und half Lacey auf die Beine.
    »Was ist eigentlich –«
    »Hat jemand den Hausmeister –«
    »Herrgott noch mal –«
    Das Stimmengewirr brachte mich zur Besinnung, und ich sprang auf. Ich hörte ein leises Knacken, inzwischen ein vertrautes Geräusch. Ich blickte auf und sah über meinem Kopf einen Kronleuchter hängen. Ich warf mich wieder auf den Boden und schützte den Kopf mit den Armen, gerade als die winzigen Birnen zu explodieren begannen.
    Erst als keine Scherben mehr fielen, sah ich wieder auf. Ich erwartete tiefe Finsternis, aber stattdessen stellte ich fest, dass wir noch sehen konnten. Licht flackerte von einer einzigennoch intakten Glühbirne im Kronleuchter; es reichte gerade aus, dass ich meine Umgebung erkennen konnte.
    Ich sprang zum zweiten Mal auf und sah mich nach einem Ausgang um. Ringsum schrien, kreischten, schluchzten Menschen. Ich nahm es kaum zur Kenntnis. Mir ging ein einziger Gedanke wie ein endloser Refrain im Kopf herum. Savannah. Ich musste Savannah finden.
    Merkwürdig klar im Kopf stand ich mitten im Gewühl und schätzte die Situation ab. Eingangstür blockiert oder versperrt. Keine Fenster, keine Seitentüren. Der Raum maß ungefähr sieben Meter im Quadrat, und ringsum standen Stühle. Vor der gegenüberliegenden Wand stand – ein Sarg.
    Erst in diesem Moment ging mir auf, wo wir waren: im Aufbahrungssaal. Glücklicherweise hatte Savannah Recht gehabt, und es gab keine echte Aufbahrung. Der Sarg war geschlossen. Trotzdem verkrampfte sich mein Magen bei dem Gedanken, Carys Leiche so nahe zu sein.
    Ich zwang mich zur Ruhe. Rings um mich schienen sich die Leute ebenfalls zu beruhigen. Das Geschrei war zu leisem Schluchzen und gemurmelten Beteuerungen, es sei ja Hilfe unterwegs, abgeflaut.
    Ich wandte mich wieder meiner Umgebung zu. Keine Fenster … Über das dämpfende Geräuschpolster von Geflüster und Schluchzern kam ein leises Stöhnen. Ein Stöhnen und ein Kratzen. Ich wagte kaum, die Quelle zu ermitteln. Ich brauchte es auch gar nicht. Ich wusste, ohne hinzusehen, dass das Geräusch von der gegenüberliegenden Wand her kam. Von dem Sarg her.
    Vor meinem inneren Auge erschien Shaw, wie sie mit dem Püppchen in der Hand ihre Beschwörung murmelte. Ich sah sie und erkannte sie als das, was sie war: eine Nekromantin.
    Das Kratzen wurde zu einem Hämmern. Als das Geräusch lauter wurde, wurde es im Raum stiller. Alle Augen richteten sich auf den Sarg. Ein Mann trat vor und packte die Kante.
    »Nein!«, schrie ich. Ich stürzte nach vorn, warf mich auf ihn.
    »Nicht –«
    Er öffnete den Riegel, gerade als ich mit ihm kollidierte und ihn zur Seite schleuderte. Ich versuchte mich aufzurappeln, aber meine Beine waren in seine verwickelt, und ich stolperte gegen den Sarg. Als ich mich freikämpfte, hob sich der Deckel.
    Ich erstarrte mit hämmerndem Herzen; dann schloss ich die Augen, kniff sie zusammen, so fest ich konnte, so wie ich es getan hatte, als ich vier Jahre alt gewesen war und das Knarren der Wasserleitungen für ein Ungeheuer im Schrank gehalten hatte. Im Raum wurde es still, so still, dass ich diejenigen, die mir am nächsten standen, atmen hören konnte. Ich öffnete ein Auge und sah … nichts. Von meiner Position auf dem Boden sah ich nur einen offenen Sargdeckel.
    »Macht ihn zu«, flüsterte jemand. »Um Gottes willen, macht ihn zu.«
    Ich atmete tief aus vor Erleichterung. Shaw war keine Nekromantin. Leah hatte das Geräusch im Sarg wahrscheinlich hervorgerufen, indem sie irgendetwas in seinem Inneren bewegt hatte in der Hoffnung, einen der Trauergäste dazu zu bringen, dass er den Sarg öffnete und Carys zerschmetterte Überreste zum Vorschein brachte. Wieder ein grotesker Streich, nur um mich aufzuhalten, um mich von Savannah fern zu halten.
    Ein Stöhnen unterbrach meine Gedankengänge. Ich war immer noch dabei, mich vom Boden hochzustemmen. Im Aufstehen sah ich den Mann, der nach vorn gestürzt war, um denSarg zu schließen. Er stand neben ihm, die Hand auf dem offenen Deckel, die Augen rund und weit. Ein weiteres Stöhnen zitterte durch den Raum, und einen Moment, einen wild optimistischen Moment lang redete ich mir ein, das Geräusch stamme von dem Mann. Dann hob sich eine zerschlagene Hand über das Satinfutter des

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