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Nacht der Stachelschweine: Laura Gottbergs erster Fall

Nacht der Stachelschweine: Laura Gottbergs erster Fall

Titel: Nacht der Stachelschweine: Laura Gottbergs erster Fall Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Felicitas Mayall
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Holztür zum Gruppenraum aufmachen und ihre Arbeit tun. Als sie den Seitentrakt des Klosters verließ, begegnete sie dem neugierigen Blick des Bauern, der gerade die Telefonzelle betrat. Er starrte sie an. Katharina nickte und brachte ein Lächeln zustande. Doch er erwiderte es nicht, nickte nur und starrte hinter ihr her.
    Keine der vielen Katzen ließ sich blicken, ein paar Tauben gurrten auf dem Dach. Die Blüten der Nachtviolen waren noch geschlossen, neben der Treppe leuchtete ein Büschel orangefarbener Ringelbumen. Katharina nahm all das in sich auf, sogar den feinen Sprung in einer der steinernen Stufen, den riesigen eisernen Türgriff und den löwenköpfigen Klopfer. Sie tastete mit ihren Fingern kurz über den Löwenkopf, umschloss ihn dann fest mit ihrer Hand und ließ ihn gegen die Tür knallen. Gut, wenn sie wussten, dass sie kam. Dass etwas sich verändert hatte.
    Als sie den Gruppenraum betrat, waren alle Augen auf sie gerichtet. Vollzählig saßen ihre Klienten auf dem großen Teppich, den Katharina bei ihrer Ankunft vor einer Woche über den rohen Ziegelboden gebreitet hatte. Sie neigte den Kopf, nahm auf ihrem Meditationskissen Platz und sagte leise: «Zehn Minuten mit geschlossenen Augen sitzen. Auf den Atem achten. Wirbelsäule gerade, Hände offen auf die Oberschenkel.» Sie nahm die kleine Glocke auf, die vor ihr auf dem Boden stand, ließ sie einmal erklingen und schloss die Augen. Kein Laut war zu hören. Ein plötzliches Gefühl von Macht durchströmte Katharina, verdrängte die Kraftlosigkeit. Als die zehn Minuten um waren, schlug sie erneut die Glocke an und betrachtete lange und forschend jeden der Menschen, die im Kreis um sie herum saßen. Einige hielten ihrem Blick stand, andere senkten die Augen, ruckten unruhig umher. Erleichtertes Seufzen ging durch die Runde, als Katharina endlich die Augen abwandte und die übliche Frage stellte:
    «Was liegt an?»
    Rosa räusperte sich.
    «Ja?» Katharina richtete erneut ihren Blick auf die Malerin, durchdringend, genoss die Beunruhigung, die ihre Augen auslösten. Rosa neigte zum Plaudern, zu tausend Geschichten, die sie immer weiter weg von sich selbst, weg vom Eigentlichen führten. Katharina würde nicht mehr zulassen, dass sie plapperte. Hatte es satt.
    Rosa zog die Schultern hoch.
    «Lass sie fallen!», sagte Katharina. «Spürst du, was du machst? Atme!»
    Gehorsam atmete Rosa, versuchte die Schultern zu senken, ihre Schlüsselbeine traten deutlich hervor und die Sehnen ihres Halses. Ihr Atem wurde schneller, ging in ein trockenes Schluchzen über.
    «Atme weiter!», sagte Katharina.
    Die anderen starrten vor sich hin. Eine Katze warf sich gegen eines der Fenster, forderte Einlass, schrie. Sie achteten nicht darauf.
    «Ich kann nicht mehr in meinem Zimmer schlafen», flüsterte Rosa. «Ich bin die Einzige, die allein schläft, außer dir, Katharina. Jede Nacht habe ich Albträume. Dieses Bett mit den Säulen und der schwarze Schrank. Ich habe es schon ein paar Mal gesagt, dass ich mir vorkomme wie in einer Totenhalle. Als würde ich selbst in einem Sarg liegen. Ich halte das nicht mehr aus.»
    Katharina spielte mit der kleinen Glocke, hielt den Klöppel fest, ließ Rosa warten. Eine Minute, zwei.
    «Du selbst hast dir dieses Zimmer ausgesucht», sagte sie schließlich langsam. «Du bist als eine der Ersten hier angekommen und warst ganz wild darauf, ein Einzelzimmer zu bekommen. Du wolltest allein sein, oder irre ich mich?» Rosa schluckte, rang nach Luft.
    «Ich weiß. Ja, ich hab es mir ausgesucht. Aber jetzt hat sich die Situation verändert. Ich finde das Zimmer grauenvoll. Dabei stimmt alles – die Architektur, die Farben, die antiken Möbel. Aber es macht mir Angst, verstehst du? Richtig Panik. Ich könnte schreien, wenn ich nur daran denke!»
    «Du kannst schreien! Hier ist der Ort zum Schreien. Atme und lass es kommen!»
    Rosa krampfte ihre Hände ineinander. Tränen liefen über ihre eingefallenen Wangen.
    «Ich will aber nicht schreien! Ich habe keine Lust, mich vor allen hier zu exhibitionieren. Alles was ich will, ist ein anderes Zimmer. Nichts als ein anderes Zimmer. In meinem wohnt der Tod, ein schwarzer schrecklicher Tod. Vielleicht ist dort einer der Mönche gestorben oder ermordet worden. Ich halte es nicht mehr aus!» Jetzt schrie sie doch, oder jedenfalls beinahe.
    «Lass sie in Ruhe!», sagte Rolf Berger in die Stille hinein, die Rosas Ausbruch folgte. Er strich die Haarsträhne zurück, die ihm stets über die Stirn

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