Nacht der Stachelschweine: Laura Gottbergs erster Fall
litte sie unter starken Schmerzen.
«Ich bin allein in dem Zimmer», flüsterte sie endlich. «Zu Hause bin ich auch allein in meinem Zimmer. Ich schlafe allein, arbeite allein. Ich bilde mir ein, dass ich es so will. Aber es ist eine verdammte Lüge!» Sie richtete sich auf und starrte Katharina an. «Ich will nicht allein sein! Ich bin allein, weil ich diese Angst habe. Weil ich niemanden ertrage. Wenn jemand bei mir ist, dann spüre ich so deutlich, dass ich nicht liebe. Es ist …»
«Was ist?» Katharina warf einen schnellen Blick in die Runde. Berger weinte noch immer. Die anderen starrten vor sich hin.
«Ich … habe so viel Wut in mir. Manchmal denke ich, dass ich jemanden umbringen könnte … nur, um endlich diese Wut loszuwerden!»
«Du musst niemanden umbringen, Rosa. Du musst sie nur zulassen, diese Wut. Sie kann sich verwandeln, verstehst du? Mit deiner Wut kannst du andere Bilder malen als bisher. Anders leben. Vielleicht sogar wieder lieben.»
Rosa schüttelte heftig den Kopf.
«Ich habe Krebs», sagte sie heiser. «Mir bleibt keine Zeit mehr.»
«Wir bekommen alle die Zeit, die wir brauchen, Rosa.» Katharina lauschte ihren eigenen Worten nach. Stimmte das? Es entsprach der Lehre der Meister. Aber stimmte es wirklich? Hatte Carolin die Zeit bekommen, die sie brauchte? Würde die Zeit für Rosa ausreichen? Für sie selbst?
«Mist!» Rolf Bergers Stimme klang schneidend. «Ich bin wirklich neugierig darauf, was du sagst, wenn du einmal Krebs bekommst!»
Katharina wandte ihm langsam ihr Gesicht zu.
«Es reicht!», sagte sie müde. «Wenn du nicht begreifst, dass wir keine Diskussionsrunden haben, sondern Therapie machen, dann ist hier nicht der richtige Platz für dich!»
Er hob den Kopf und lächelte plötzlich unter Tränen. Es war kein freundliches Lächeln.
«Du kannst mich nicht loswerden!», meinte er. «Wir müssen zusammenbleiben, bis die Polizei uns scheidet, nicht wahr?»
Katharina atmete. Der Atem half ihr, eine Antwort zu finden.
«Was für diesen Augenblick gilt, hat nichts mit der Zukunft zu tun. Ich möchte die Einzeltherapie mit dir nicht mehr fortsetzen.»
Rolf Berger starrte sie an, die anderen vergaßen zu atmen.
«Ich auch nicht!», murmelte er endlich, und seine Tränen flossen scheinbar unaufhaltsam.
Katharina legte ihre Hand auf Rosas Schulter.
«Wo möchtest du in Zukunft schlafen, Rosa?»
Rosa wischte mit dem Handrücken über ihre Nase und schloss kurz die Augen.
«Hier im Gruppenraum!», antwortete sie. «In der Nähe der anderen Frauen. Hier … unterm Fenster könnte ich mir ein Bett machen. Dann kann ich nachts den Mond sehen und eine Katze reinlassen. Ich mag Katzen.»
«In Ordnung», murmelte Katharina. «Ich möchte dich nur davor warnen, dass in einem Gruppenraum starke Energien herrschen. Aber vielleicht brauchst du das.»
«Danke!» Rosa wollte an ihren Platz zurückkriechen, doch Katharina hielt sie fest.
«Ich glaube, wir sind noch nicht fertig!»
Rosa setzte sich auf, senkte den Kopf.
«Mir reicht’s», flüsterte sie.
«Ich würde gern mit dir noch einmal zu deiner Ankunft zurückgehen. Versuch dich zu erinnern. Wie war es, als du aus dem Wagen deines Mannes gestiegen bist, der ja immerhin so freundlich war, dich hier abzusetzen. Was hast du gemacht?»
Verwirrt schüttelte Rosa den Kopf, sah Hilfe suchend zu Rolf Berger hinüber, doch der hielt seine Augen geschlossen. Tränen glänzten auf seinen Wangen. Er machte sich nicht die Mühe, sie abzuwischen. Rosa knetete verlegen ihre nackten Füße.
«Ich weiß nicht genau. Ich … bin eben ausgestiegen. Und dann hab ich mich umgesehen und diesen Platz sehr schön gefunden. Ich habe die Katzen gestreichelt, und du hast mich begrüßt, da war auch Rolf … und, ich glaube, Britta und Susanne. Wir haben uns unterhalten.»
Katharina schloss kurz die Augen und seufzte kaum hörbar.
«Was hast du gemacht?»
«Was soll ich denn gemacht haben?», schrie Rosa.
«Versuch dich zu erinnern.»
«Ich … ich bin rumgelaufen, hab mir die Gebäude angesehen und …»
«Ja?» Katharina richtete ihre großen, durchdringenden Augen auf Rosa.
«Ich hab dieses Zimmer entdeckt und gesagt, dass ich es haben will.»
Katharina nickte.
«Du hast nicht einmal gefragt, ob es frei ist. Du hast es dir einfach genommen.»
«Aber es war ja frei! Weil alle anderen mit jemandem das Zimmer teilen wollten.»
«Ja, Rosa. Aber das hast du erst hinterher erfahren. Du warst die Einzige, die freiwillig
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