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Nacht der Stachelschweine: Laura Gottbergs erster Fall

Nacht der Stachelschweine: Laura Gottbergs erster Fall

Titel: Nacht der Stachelschweine: Laura Gottbergs erster Fall Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Felicitas Mayall
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kann das Weinen der Stachelschweine imitieren, als wäre er selbst ein trauriges ängstliches Stachelschwein …»
    «Wie weinen Stachelschweine?», fragte Laura.
    Guerrini spreizte die Finger beider Hände und betrachtete sie lange.
    «Es ist ein Ton, der keinen Menschen unberührt lässt. Nicht einmal Jäger, die auf Stachelschweine aus sind. Eine Art Urton der Trauer vielleicht … ein Klagen über die Grausamkeit, den Tod, die Angst … Vielleicht werden Sie das Weinen vernehmen, wenn Sie ein paar Tage und Nächte hier verbringen, Laura.»
    «Ich würde ihn gern kennen lernen, diesen Giuseppe Rana», antwortete Laura leise.
    «Vielleicht nehme ich Sie mit, wenn ich ihn das nächste Mal in seiner Zelle besuche», murmelte Guerrini.
    «Vielleicht?»
    «Ja, vielleicht. Es kommt darauf an, wie es ihm geht. Er ist es nicht gewöhnt, eingesperrt zu sein. Er muss umherstreifen, wenn Sie verstehen, was ich meine.»
    Laura konnte Guerrinis Gesicht mehr erahnen als erkennen. Im Schatten der Bäume breitete sich bereits die Nacht aus.
    «Seltsam, dass Sie ihn so gut verstehen, obwohl Sie ihn kaum kennen», sagte sie.
    «Ja, seltsam!», antwortete er beinahe schroff. «Gehen wir zum Auto. Ich bin gespannt, was Sie von den Menschen in der Abbadia halten!»
    Sie kehrten zügig zum Wagen zurück. Wieder reichte Guerrini ihr die Hand, doch die Wärme der ersten Berührung blieb diesmal aus. Erst als der Lancia den steilen Hügel erklomm, fielen die nächsten Sätze.
    «Diese Frau. Diese Katharina Sternheim ist auch ungewöhnlich», meinte Guerrini. «Ich glaube, dass Sie etwas weiß oder ahnt. Aber ich bin mir nicht sicher, dass Sie etwas sagen wird. Es ist ihre Gruppe, und sie fühlt sich verantwortlich. Jedenfalls hat sie eine merkwürdige Andeutung gemacht, als ich mit ihr zu sprechen versuchte. Sie sagte: ‹Ich glaube nicht, dass es ein Fremder war!› Diese Feststellung hat ihr sofort Leid getan, sie ist erschrocken. Deshalb ist es so wichtig, dass Sie hier sind, Laura.»
    Laura antwortete nicht. Sie starrte auf die großen Gebäude, die jetzt im letzten Sonnenlicht vor ihnen lagen. Die Gruppe hatte sich tatsächlich einen phantastischen Platz ausgesucht, der unendlich weit von der übrigen Welt entfernt schien. Als der Wagen auf den Innenhof des Klosters rollte, nahm Laura eine Bewegung auf der großen Veranda wahr. Köpfe reckten sich, Menschen erhoben sich halb.
    «Sie sind gerade beim Abendessen», bemerkte Guerrini. «Ich würde wirklich gern wissen, wie es denen geht.»
    «Das werden wir jetzt herausfinden!» Laura öffnete die Wagentür. «Dazu bin ich schließlich gekommen, oder?»
    Guerrini verzog das Gesicht zu einem Lächeln, das seine Augen nicht erreichte. Und Laura fragte sich, was sich bei ihrem Gespräch am Tatort verändert hatte. Doch es spielte jetzt keine Rolle. Sie stieg langsam aus und schaute währenddessen zu den Menschen auf der Veranda hinüber. Die starrten zurück. Als Laura auf die breite Steintreppe zur Veranda zuging, lief eine Katze vor ihr her, weiß, mit zwei schwarzen Flecken auf dem Rücken. Ein großer Busch Nachtviolen bewegte sich leicht im Wind. Süßer Blütenduft stieg auf, begleitete Laura auf den Stufen, an deren Ende eine etwa sechzigjährige Frau sie erwartete.
    «Ich bin Katharina Sternheim.» Aufrecht stand sie vor Laura, mit wachsamen forschenden Augen, und streckte ihr langsam eine Hand entgegen. «Ich nehme an, dass Sie die deutsche Kollegin sind, die von Commissario Guerrini angefordert wurde.»
    Laura nickte und drückte ihr kurz die Hand. Ein fester, beinahe harter Griff.
    «Laura Gottberg. Ich bin von der Kripo München. Essen Sie nur weiter. Guerrini und ich werden warten.»
    «Nein, bitte setzen Sie sich zu uns. Es gibt Käse, Brot, Wein und Obst. Sie können gern mit uns essen. Essen hilft, wenn man sich kennen lernen muss!» Katharina Sternheim winkte Guerrini zu, der nun ebenfalls auf der Treppe stand. Laura registrierte die Wortwahl der Therapeutin: kennen lernen muss ! Sie hatte Recht. Vermutlich wollte niemand eine Kommissarin kennen lernen – hier in der Toskana, in einem verwunschenen Kloster.
    «Danke», antwortete Laura deshalb. «Ich bin tatsächlich etwas hungrig. Wir können uns ja später einzeln vorstellen, nicht wahr?»
    Die Menschen auf den beiden langen Bänken rückten ein wenig zur Seite, um den Polizeibeamten Platz zu machen. Niemand sagte etwas. Als Laura sich setzte, sprang eine Katze neben sie und drängte heftig den Kopf gegen ihren

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