Nacht der Stachelschweine: Laura Gottbergs erster Fall
Schatten der bröckelnden Arkaden in einem Liegestuhl döste.
Halb zwei. Sie sollte eigentlich Sofia anrufen und Kontakt zu Baumann aufnehmen. Bei ihrer Ankunft im Kloster hatte sie ihr Handy ausgeschaltet, um nicht durch Anrufe gestört zu werden. Sicher hatte ihr Vater schon mindestens zweimal auf die Mailbox gesprochen. Außerdem hätte sie sich gern unter den großen Feigenbaum an der Nordwand des Klosters gesetzt und ungestört nachgedacht.
Doch da saß Berger, der Nächste auf ihrer inneren Liste. Sie schaute sich nach ihrem Koffer um. Jemand hatte ihn in den Hauseingang neben der Telefonzelle gestellt. Laura wäre auch gern in ihr Zimmer gegangen, um sich ein wenig frisch zu machen, aber Berger könnte inzwischen verschwinden, und das wollte sie nicht riskieren, deshalb überquerte sie den Hof und hielt genau auf ihn zu.
Als sie näher kam, wurde ihr klar, dass er sie unter seinen halb geschlossenen Augenlidern beobachtet hatte. Er lächelte leicht.
«Warum ist Britta denn weggelaufen?»
«Weil sie ein paar Fragen nicht beantworten wollte!» Laura blieb neben Bergers Liegestuhl stehen, machte ihm aber keinen Schatten, sondern ließ ihn blinzeln.
«Was für Fragen?» Berger hob die Hand, um seine Augen vor dem grellen Licht zu schützen.
«Ich glaube nicht, dass Sie das etwas angeht!», antwortete Laura. «Ich würde mich jetzt gern mit Ihnen unterhalten, dann haben wir es hinter uns.»
Berger hüstelte nervös und ein bisschen leidend, legte dabei eine Hand auf seine Brust.
« Zauberberg , Thomas Mann!», sagte Laura.
«Was?»
«Na, Sie haben mich gerade an den Roman von Thomas Mann erinnert, an das Lungensanatorium und seine Bewohner. Kennen Sie das Buch?»
«Ja», murmelte Berger verwirrt und setzte sich auf. Laura fiel auf, dass er ziemlich blass war und so mager, dass er ganz gut auf den Zauberberg gepasst hätte. Ihr Einfall hatte ihn ganz offensichtlich unsicher gemacht. Jedenfalls war nichts von seiner forschen Ironie zu spüren.
«Sie haben gar nicht so Unrecht», sagte er mit dieser leicht brüchigen Stimme, die Laura schon früher an ihm bemerkt hatte. «Wir befinden uns hier in einer ganz ähnlichen Situation wie die Kranken in einem Sanatorium. Wir können nicht einfach abreisen, wir müssen zweimal am Tag bestimmte Anwendungen über uns ergehen lassen, die man Gruppensitzungen nennt. Danach sind die meisten froh, wenn sie eine Liegekur machen können.» Er lachte auf. «Außerdem habe ich tatsächlich schwache Lungen und erkälte mich sehr leicht.»
Laura setzte sich auf einen klapprigen Gartenstuhl und nickte ernst.
«Es gibt nur einen wichtigen Unterschied: In einem Lungensanatorium sterben die Menschen an Tbc und werden nicht ermordet!»
Berger ließ sich wieder zurücksinken und schloss die Augen.
«Es ist furchtbar», flüsterte er kaum hörbar. «Carolin war so lebendig und stark …»
«Kannten Sie das Mädchen schon lange?»
«Wie kommen Sie denn darauf?» Er hielt die Augen geschlossen, und seine Worte fielen sehr langsam.
«Weil ich erfahren habe, dass Sie mit Carolin eine ziemlich enge Beziehung unterhielten!»
Bergers lange Wimpern zuckten ein wenig.
«Wer hat das gesagt? Die kleine Sekretärin, die keinen abgekriegt hat? Oder die zickige Krankenschwester? Am Ende gar die einsame Meisterin selbst?»
«Es spielt keine Rolle, nicht wahr? Wichtig ist nur, ob es der Wahrheit entspricht!» Schweiß lief über Lauras Rücken, und ihr wurde bewusst, dass sie in der prallen Sonne saß.
«Gut!» Berger setzte sich so plötzlich auf, dass Laura beinahe zusammenzuckte. «Ich habe Carolin Wolf genau hier zum ersten Mal gesehen. Ich fand sie attraktiv und sehr erotisch. Sie hat meine Gefühle erwidert, und wir haben uns ein paar Mal außerhalb der Gruppe getroffen.»
«Auch am Abend ihres Todes?»
Berger vergrub sein Gesicht in den Händen, und Laura dachte, dass er einen guten Schauspieler abgeben würde.
«Ja, auch am Abend ihres Todes. Wir haben uns unterhalb des Klosters getroffen und sind zum Bach runter. Dort ist es kühl und …»
«… niemand kann einen sehen, nicht wahr?»
Berger stöhnte.
«Nein, niemand kann einen sehen. Jedenfalls haben wir dort unten nie jemanden getroffen.»
«Wie lange waren Sie am Bach? Sind Sie allein oder zusammen zurückgekommen?»
«Seltsam!», murmelte Berger und sah Laura an.
«Was?»
«Sie sehen überhaupt nicht aus wie eine Polizistin, aber Sie sind taff. Hab ich Recht?»
«Ich weiß nicht, was das mit meiner Frage zu
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