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Nacht der Stachelschweine: Laura Gottbergs erster Fall

Nacht der Stachelschweine: Laura Gottbergs erster Fall

Titel: Nacht der Stachelschweine: Laura Gottbergs erster Fall Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Felicitas Mayall
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bin gekommen, um dich nach Hause zu bringen. Ich hab es dir versprochen, erinnerst du dich?»
    Giuseppe verharrte ohne das geringste Anzeichen einer Bewegung.
    «Hast du mich verstanden, Giuseppe?»
    Plötzlich lief ein Zittern durch den Körper des jungen Mannes und aus dem Zittern wurde ein heftiges Nicken. Aber er drehte sich nicht um, machte nur einen tapsenden Schritt rückwärts, weg von der Wand.
    «Aber sie werden dort sein», flüsterte er heiser.
    «Wer wird dort sein?», fragte Guerrini.
    «Die Polizisten! Sind überall. Im Haus, auf den Feldern. Sie können mich sehen!»
    Guerrini seufzte.
    «Nein, Giuseppe. Da werden keine Polizisten sein. Ich verspreche es dir. Da sind nur deine Mutter und dein Bruder. Und all die Tiere, die du liebst. Die Hühner und Enten. Die Schafe und Kühe. Und im Wald warten die Stachelschweine auf dich.»
    Jetzt wiegte Rana seinen Oberkörper hin und her, erst langsam, dann immer heftiger.
    «Nicht die Stachelschweine!», stieß er hervor. «Nicht die Stachelschweine!»
    Guerrini schluckte.
    «Warum nicht die Stachelschweine?»
    «Sie weinen!» Giuseppes Stimme wurde lauter. «Sie weinen! Die weiße Frau! Sie ist da und schaut mich an! Sie ist immer da! Die Hexen haben sie umgebracht!»
    Guerrini warf Laura einen Blick zu.
    «Welche Hexen, Giuseppe?»
    «Hexen überall», murmelte er. «Mama sagt, dass überall Hexen sind.»
    «Ist gut, Giuseppe. Wir haben die Hexen vertrieben. Du kannst ruhig mit uns kommen. Keine Polizisten, keine Hexen. Ich verspreche es dir! Ich habe Pizza gekauft. Die können wir auf dem Rückweg essen. Vielleicht machen wir ein Picknick. Hast du schon einmal ein Picknick gemacht?»
    Giuseppe reagierte nicht, begann wieder zu summen. «Ich habe nicht nur Pizza mitgebracht, sondern auch eine Frau, Giuseppe. Sie ist wichtig für dich. Sie hat dich hier rausgekriegt …» Guerrini machte eine Pause und winkte Laura heran. «Schau sie dir an, Giuseppe! Sie ist hier!»
    Laura machte zwei lautlose Schritte, stand im Eingang zur Zelle und wartete mit klopfendem Herzen auf eine Reaktion des Jungen. Doch lange Zeit rührte er sich nicht. Stand nur da und Laura hatte das Gefühl, als könne sie spüren, wie die vielen Informationen sich langsam in seinem Kopf und seinem Körper ausbreiteten, miteinander kämpften, mit seiner Angst und Langsamkeit, den Hexen, Polizisten und Stachelschweinen, der toten Frau, der Mutter und dem Bruder.
    Sie wagte kaum zu atmen, jeder winzige Laut schien hörbar zu werden in der Stille. Selbst der Wachhabende rührte sich nicht.
    Giuseppe fuhr so plötzlich herum, dass Laura alle Muskeln anspannen musste, um nicht zurückzuweichen. Sein Blick traf sie mit einer Kraft, als werfe er sich auf sie. Lange starrte er ins Leere, dunkel, brennend. Und dann, ganz allmählich, lockerte sich sein Körper, sein Gesicht, das noch immer die Spuren der Misshandlungen zeigte, verzog sich, und Tränen liefen über seine Wangen.
    Guerrini erhob sich vorsichtig und murmelte: «Komm, Giuseppe, lass uns gehen!» Er legte einen Arm um die Schultern des Jungen, und dieser ließ ihn gewähren, folgte dem Commissario mit unsicheren Schritten zur Zellentür, vorbei an Laura, die ihnen Platz machte, durch den langen Gang, die Wachstube und endlich hinaus aus diesem Kerker, der ihm vorgekommen war wie die Hölle, von der seine Mutter manchmal sprach.
    «Vergessen Sie die Formalitäten!», sagte Laura zu den Polizisten, die den beiden verblüfft nachsahen. «Der Commissario wird sich später darum kümmern!»
    Als sie nach draußen trat, warteten Guerrini und Giuseppe vor dem Wagen auf sie.
    «Bitte fahren Sie, Laura», sagte Guerrini. «Ich werde mich mit Giuseppe nach hinten setzen.»
    Sie nickte und nahm den Autoschlüssel. Der Junge zögerte einen Augenblick, ehe er in den Wagen stieg, und Laura fürchtete, er könnte sich losreißen und einfach fortlaufen. Doch er tat es nicht, und kurz darauf waren sie unterwegs. Bis Buonconvento sprachen sie nicht. Giuseppe summte vor sich hin, sang manchmal laut ein paar Strophen und wiegte sich hin und her wie ein verlassenes Kind. Als sie die Seitenstraße zur Abbadia erreicht hatten, schlug Guerrini noch einmal ein Picknick vor.
    «Glauben Sie wirklich, dass es funktioniert?», fragte Laura zweifelnd.
    «Es kommt auf einen Versuch an», erwiderte Guerrini. «Mir ist schon schwindlig vor Hunger, und ich bin sicher, dass Giuseppe seit Tagen kaum etwas in den Magen bekommen hat.»
    Laura bog auf einen Feldweg ein, der zu

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