Nacht der Stachelschweine: Laura Gottbergs erster Fall
einer Gruppe alter Olivenbäume auf einem Hügel führte. Dort hielt sie den Wagen an.
«Und jetzt?», fragte sie.
«Jetzt steigen wir aus und essen!» Guerrini verließ den Wagen, holte eine Decke aus dem Kofferraum und breitete sie unter den Bäumen aus. Laura sah ihm ungläubig zu.
«Und Giuseppe?»
«Er wird kommen», antwortete Guerrini. «Bitte holen Sie die Pizza und den Wein, Laura!»
Das Paket lag auf dem Beifahrersitz. Als Laura danach griff, warf sie einen kurzen Blick auf den Jungen, der mit zurückgelehntem Kopf dasaß und auf die Landschaft starrte.
«Komm, Giuseppe», sagte sie leise. «Es gibt was zu essen – draußen unter den Bäumen. Du bist frei!»
Doch er rührte sich nicht, schien sie nicht gehört zu haben. Da ließ sie ihn sitzen, öffnete nur weit seine Tür und ging zu Guerrini, der am Stamm eines Olivenbaums lehnte und übers Land schaute. Als sie etwas sagen wollte, hob er einen Finger an die Lippen und schüttelte den Kopf. Dann nahm er das Pizzapaket aus ihren Händen, legte es auf die Decke und öffnete es, schraubte die Weinflasche auf und genehmigte sich einen großen Schluck.
«Bedienen Sie sich!» Er wies auf die lauwarme Pizza. «Fangen Sie einfach an!»
Zögernd griff Laura nach einem Stück Pizza und biss hinein. Ihr Magen knurrte, doch sie hatte Mühe zu essen. Dieses Picknick kam ihr wie eine unwirkliche Szene vor, der ganze Tag wie ein absurdes Theaterstück. Deshalb passte eigentlich alles. Guerrini reichte ihr die Weinflasche, und auch sie trank beinahe gierig. Sie lächelten einander zu, stopften Pizza in sich hinein und lauschten gleichzeitig Richtung Wagen.
Und dann, nach zehn Minuten, hörten sie leise Schritte, drehten sich nicht um, hörten nur auf zu kauen. Als Giuseppe sich zwischen sie setzte und nach einem Stück Pizza griff, trafen sich ihre Blicke, und ein warmes Glücksgefühl breitete sich in Lauras Brust aus.
Sie aßen, gaben Giuseppe von dem Wasser, tranken abwechselnd aus der Weinflasche und schwiegen. Es war ein gutes Schweigen – eins, das mit Schmatzen gefüllt war und dem Gluckern der Flasche. Danach blieben sie sitzen und sahen den Vogelschwärmen zu, die sich auf den abgeernteten Feldern niederließen, um auf ihrem Weg nach Süden auszuruhen. Irgendwann begann Giuseppe wieder zu singen. Laura und Guerrini sangen mit ihm. Warmer Wind bewegte die Zweige des Olivenbaums, und Laura wünschte, dass sie für immer auf diesem Hügel bleiben könnte, frei, singend und ein klein wenig betrunken.
E rst als die Sonne zu sinken begann, erhoben Guerrini und Laura sich unwillig und trugen die Reste des Picknicks zum Wagen. Giuseppe wollte nicht aufstehen. Er lag auf dem Rücken und schaute in die Zweige der alten Ölbäume, zerkrümelte Erdbrocken zwischen seinen Fingern.
Guerrini und Laura lehnten am Lancia und sahen ihm ein bisschen ratlos zu.
«Kennen Sie das Beatles-Lied The Fool on the Hill ?», fragte Laura.
Guerrini nickte.
«Es beschreibt genau diese Szene», sagte sie.
«Können Sie den Text?»
«Ich glaube schon.»
«Dann singen Sie. Ich würde es gern hören.»
Und Laura sang, der Text holperte ein wenig, aber sie bekam ihn irgendwie zusammen. Auch Giuseppe lag ganz still und hörte zu.
«Der Narr auf dem Hügel sieht mehr als die anderen», sagte Guerrini leise, als sie geendet hatte. «Vielleicht stimmt es sogar. Vielleicht hat er tatsächlich eine Hexe gesehen. Ich musste immer wieder an seine Worte denken.»
«Vielleicht», murmelte Laura. «Er kann aber auch die Worte seiner Mutter wiederholt haben. Schwer zu beurteilen, nicht wahr?»
Guerrini lächelte.
«Finden Sie nicht auch, dass dieser Fall etwas Unwirkliches hat? Ich kann mich jedenfalls an keinen Fall in meinem Berufsleben erinnern, der ähnlich gewesen wäre. Ein Narr und eine Gruppe von Menschen, die sich selbst suchen …»
«… weinende Stachelschweine, französische Hühner-Aktivistinnen, eine tote Katze!», ergänzte Laura.
«Und zwei verwirrte Kommissare!» Guerrini und Laura brachen gleichzeitig in Gelächter aus. Giuseppe richtete sich auf und sah sie fragend an.
«Komm, Giuseppe», sagte Guerrini. «Wir bringen dich nach Hause. Deine Leute werden sich freuen.»
Aber Giuseppe schüttelte den Kopf.
«Hier ist es gut!», sagte er mit klarer Stimme.
«Ja, hier ist es gut. Aber bald wird es dunkel, und wir müssen uns um ein paar andere Leute kümmern. Wir können nicht die ganze Nacht hier bleiben!»
Giuseppe zog die Beine an und umschlang sie mit
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