Nacht der Versuchung
er von Ihnen sprach, Señora …«
Margit sah ihn an. Und plötzlich brach der Damm der Starrheit; mit einem wilden Aufschluchzen preßte sie die Hände auf ihr Gesicht, sank über dem Tisch zusammen, weinte und weinte …
Direktor Escardos zündete sich rasch eine Zigarette an, aber er konnte trotzdem nicht verhindern, daß auch ihm die Tränen über die Wangen liefen.
Es dauerte zehn Minuten, bis Margit Blankers sich wieder gefaßt hatte. Mühsam hob sie den Kopf.
»Ich habe eine Bitte, meine Herren«, sagte sie mit schwankender Stimme. Ihre Hände umklammerten das Taschentuch, schienen es zerreißen zu wollen. »Führen Sie mich zu der Stelle, wo Klaus … wo er abgestürzt ist … Ich möchte es sehen …«
»Wird das nicht zuviel für Sie werden, Señora?« meinte Leutnant Cordobez.
»Nein.« Sie schüttelte den Kopf. »Bitte, fahren Sie mich hin.«
Die Fahrt dauerte eine knappe halbe Stunde.
Dann standen sie zusammen an der Felsenküste und starrten hinab in die Brandung, die brüllend gegen die Klippen und Riffe anrannte. Auf halber Höhe, festgeklemmt zwischen Steinen und windverkrüppelten Bäumen, hing noch immer die abgerissene Tür des zerschellten Autos. Das Wrack selbst ragte zwischen den Klippen aus der Gischt heraus, die über das zerbeulte Blech hinwegspritzte.
Wer dieses Bild in sich aufnahm, wußte, daß alle Hoffnung, auch die leiseste, sinnlos war. Hier gab es keinen Überlebenden mehr.
Margit stützte sich auf Direktor Escardos und sah hinab zu der einsamen abgerissenen Autotür.
So straft Gott, dachte sie. Ich habe Klaus belogen, vom ersten Tag unserer Ehe an. Aus Angst, ihn zu verlieren, habe ich ein gemeines, falsches Spiel mit ihm getrieben, nun ist er mir genommen, für immer. Nicht einmal als Toten werde ich ihn wiedersehen.
Sie wandte sich ab und legte sekundenlang das Gesicht gegen die Schulter von Direktor Escardos. »Lassen Sie uns gehen«, sagte sie erstickt. »Wenn ich mein Kind nicht hätte … ich wüßte, was ich jetzt täte. So aber bleibt mir nichts übrig, als weiterzuleben.«
Am Nachmittag brachte Direktor Escardos sie nach Barcelona, zum deutschen Konsulat. Wie in Trance ließ Margit die amtlichen Dinge über sich ergehen, gab Auskünfte, Unterschriften, Erklärungen. Sie hörte die Worte des Konsulatsbeamten wie durch einen Nebel hindurch: »Ihr Gatte ist offiziell noch nicht tot, gnädige Frau … Solange man seinen Leichnam nicht findet, gilt er lediglich als vermißt … Sie sollten das als Trost betrachten, als einen Schimmer Hoffnung … Wir haben da schon die tollsten Fälle erlebt, gnädige Frau … Bitten Sie Gott um ein Wunder.«
Margit zuckte müde mit den Schultern.
Ein Wunder …
Wer glaubte schon daran?
An dieser Felsenküste, in diesem schäumenden Meer, in dieser tosenden und saugenden Hölle gab es keine Wunder.
So dachte Margit Blankers, und so dachten sie im Grunde alle, auch wenn sie es der jungen Frau gegenüber nicht zugaben.
Und doch dachten sie alle falsch.
Was wirklich an jenem Felsenhang bei Blanes nach dem Absturz der grünen Limousine geschehen war, wußte niemand.
Niemand … außer dem jungen Fischer Juan Cortez von der Insel Baleanès.
*
Juan Cortez war wegen einer Erbschaft an die Costa Brava gekommen, nach Tossa de Mar. Dort war ein Onkel gestorben, und Juan war der einzige Hinterbliebene. Zwei Tage hielt er sich in Tossa auf, dann lud er alles, was ihm der Onkel hinterlassen hatte, auf sein altes Motorboot – rund 50.000 Peseten, ein paar Möbelstücke, ein bißchen Wäsche und einen Stapel vergilbter Familienfotos.
Am frühen Nachmittag tuckerte Juan mit seinem Boot wieder die Küste entlang, seiner heimatlichen Insel entgegen.
Auf der Höhe von Blanes wollte er von der Küste abdrehen und aufs offene Meer zuhalten, in Richtung Baleanès. Doch plötzlich stutzte er, drosselte mit einem raschen Griff den Motor und hielt die Hand über die Augen. Rechts von ihm, etwa fünfzig Meter entfernt, schwamm etwas zwischen den im Sonnenlicht glitzernden Wellen. Etwas Dunkles, Kreisrundes, das auf dem Wasser auf und ab tanzte.
Ein Autoreifen!
Juan warf das Ruder seines Bootes herum, ließ den Diesel wieder auf Touren kommen und hielt auf den schwimmenden Reifen zu. Jetzt erkannte er, daß es ein komplettes Rad war, mit Schlauch und Felge.
Und dann erstarrte Juan Cortez. Was er sah, schien ihm wie ein Spuk und ließ ihm die Haare zu Berge stehen. Durch das große Loch in der Mitte der Felge ragte ein menschlicher Arm. Eine
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