Nacht der Zaubertiere
mir ungefähr vorstellen, wie sich die Menschen fühlen, wenn sie zufällig ein Zaubertier erblicken.«
Amos begriff, was Karamel meinte. Er sagte: »Die Welt ist voller Zauber — nicht nur unsere, sondern auch die ganz alltägliche Welt der Menschen. Denk doch nur an Blumen oder an Spinnweben oder an diesen erhabenen Elefanten.«
»Der Jammer ist nur«, sagte der Alte, »als wie selbstverständlich die meisten Menschen solche Wunder betrachten, wenn sie ihnen überhaupt auffallen. Dabei ist das alles viel wundersamer als der geheime Zauber, der in den Dingen steckt, zum Beispiel in uns.«
»Einstein«, sagte der Gestiefelte Kater und legte seinem Freund eine Pfote auf die Schulter, »wenn ich die Macht dazu hätte, würde ich dich in einen echten und großen Elefanten wie diesen verwandeln und würde dich in die Steppe schicken, damit sich deine Träume erfüllen. Ich kann jetzt verstehen, warum du dich nach so einem Leben sehnst.«
Hupf legte seine Pfote auf Einsteins andere Schulter und versprach: »Ich werde auch keine Witze mehr über deine Schlauchnase reißen und auch nicht über deine Schlapperohren.«
»Danke schön, Hupf«, sagte Einstein leise.
»Aber deine Hosenträger werd’ ich doch schon hie und da mal knallen lassen«, setzte Hupf hinzu, »und auch mal ein Mausewitzchen machen.«
»Das ist nur gerecht«, entgegnete Einstein.
Einen Augenblick schauten sie alle schweigend zu dem stolzen Riesen empor, dann sagte Amos: »Das erinnert mich an ein Gedicht von Adam Riese... «
Selbst der Elefant schien in das Stöhnen einzustimmen.
Der schwarze Bus raste durch die Sturmnacht. Nicht einmal das heimtückische Eis auf der Fahrbahn konnte ihn bremsen. Als sie die Stadtgrenze erreichten, hatte der totenblasse Fahrer in seiner schwarzen Uniform noch kein einziges Wort an Zacharias Zack gerichtet. Er hob nur von Zeit zu Zeit die eisgrauen Augen zum Rückspiegel, in dem er das ganze Innere des Busses überblicken konnte. Er studierte Zack jedesmal eindringlich, blieb aber stumm. Manchmal erwiderte Zack den merkwürdig starren Blick des Fahrers, aber meistens hielt er den Kopf abgewandt. Als sie in die Straßen der Stadt einbogen, ging mit dem Busfenster vor Zacks Nase eine seltsame Veränderung vor. Sein blasses Gesicht begann zu verschwimmen, verzerrte sich und verschwand. Statt dessen erschien ein anderes Antlitz, ein verschattetes, unbestimmtes, aber eindeutig nicht das eines menschlichen Wesens. Es war dasselbe Antlitz, das Zack im Toilettenspiegel der Busstation gesehen hatte.
»Jetzt dauert es nicht mehr lange«, sagte der Dunkle, »dann wird sich dein Schicksal erfüllen. Nicht mehr lange, dann wirst du die Spielzeugfabrik kaufen und ihr neuer Spielzeugmacher sein.«
Zack lächelte. Die meisten kriminellen Typen seiner Art hätten nur an das verlockende Geld im Koffer gedacht. Sie hätten Pläne gemacht, wie sie es behalten könnten, obgleich es dem Bösen gehörte und sicher nicht leicht gestohlen werden konnte. Es war genug Geld, um lange in Luxus zu leben. Solche Gedanken hegte Zack jedoch gar nicht. Das Geld war ihm gleichgültig. Er träumte nur davon, Zauberspielzeug herzustellen, das Kindern mehr Angst und Unglück bereiten konnte. Diese gemeinen Gedanken erregten ihn, und er sagte zu dem Antlitz: »Danke für diese herrlichen Aussichten.«
Das Antlitz verzog sich zu einem Lächeln, und obwohl es nur ein Reflex im Glas war, konnte Zack den schrecklichen Schwefelatem riechen. Dann verschwand das Antlitz, und sein eigenes mattes Spiegelbild ersetzte wieder das seines höllischen Herrn.
Rex führte Lissie, Eisenbeißer und den Schratz einen gewundenen Fußweg entlang in den Park bis unter die kahlen Bäume, deren letztes welkes Laub im Wind raschelte. »Hier müssen sie sein«, sagte Rex, »hier irgendwo im Park. Nicht sehr weit entfernt. Diesmal werden wir sie erwischen.«
»Zerreißen«, sagte Eisenbeißer.
»Verbrennen«, zischte Lissie.
»Mit meinen scharfen hölzernen Zähnen zerfetzen«, sagte der Schratz in der Kiste.
Plötzlich schwirrte die Stecherin aus dem nächtlichen Schneegestöber und blieb vor ihnen schweben. Sie hatte sich von dem Zusammenstoß mit dem Schild des Buchladens wieder erholt, ihre beiden Fühler waren etwas verbogen. »Ssso lang, hier langsss«, summte die Hornisse aufgeregt, »ich hab’ sie gesssehen. Hier langsss zu den Zaubertieren.«
Viktor Liebmann rettete sich schließlich doch aus dem Unwetter in ein Straßencafe, das die ganze
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