Nacht des Orakels
Kopf, und die rund sechzig Dollar in seinem Portemonnaie reichen dafür nicht hin. Sein neuer Boss ist ihm jedoch einen Schritt voraus. Keine Meile von hier gebe es eine karitative Kleiderkammer, sagt er, da könne Nick sich noch an diesem Nachmittag für ein paar Dollar mit Klamotten eindecken. Natürlich keine schicken Sachen, aber zum Arbeiten brauche er Arbeitskleidung, keine teuren Straßenanzüge. Einen solchen habe er ja ohnehin, und wenn er mal in der Stadt ausgehen wolle, brauche er den ja bloß wieder anzuziehen.
Nachdem dieses Problem gelöst ist, erledigt Ed auch gleich das Wohnungsproblem. Es gebe hier unten eine Einzimmerwohnung, teilt er Nick mit, und wenn es ihmnicht zu unheimlich sei, seine Nächte unter der Erde zu verbringen, könne er dort gern einziehen, mietfrei. Er winkt Nick, ihm zu folgen, und watschelt, behutsam mit seinen wunden und geschwollenen Füßen auftretend, zwischen zwei Regalen hindurch, bis er die graue Aschbetonwand an der Westseite des Raums erreicht. Hier übernachte ich auch oft, sagt er, als er in die Tasche greift und seine Schlüssel hervorzieht. Richtig gemütlich da drin.
Eine Metalltür ist bündig in die Wand eingelassen, und da sie im selben Grau wie die Wand gestrichen ist, hat Nick sie gar nicht wahrgenommen, als er wenige Minuten zuvor daran vorbeigegangen war. Wie die hölzerne Eingangstür am anderen Ende des Raums hat auch diese weder Knauf noch Klinke und schwingt nach innen auf, als Ed sie sachte anstößt. Ja, sagt Nick höflich und tritt ein, sehr gemütlich, auch wenn er den Raum ziemlich trostlos findet, kahl und spärlich möbliert wie Eds Zimmer in der Pension. Aber alles Wichtige ist vorhanden – bis auf ein Fenster, versteht sich, irgendeine Aussicht. Bett, Tisch und Stuhl, Kühlschrank, Herdplatte, Spülklosett, ein Schrank, gefüllt mit Konserven. Eigentlich gar nicht so schlimm, und was bleibt Nick schon anderes übrig, als Eds Angebot anzunehmen? Ed scheint erfreut über Bowens Bereitschaft, hier zu wohnen, und als er die Tür verschließt und die beiden Männer sich auf den Weg zu der Leiter machen, die sie wieder auf den Erdboden zurückbringen wird, erzählt er Nick, dass er mit dem Bau dieses Wohnraums vor zwanzig Jahren begonnen habe. Im Herbst zweiundsechzig, sagt er, mitten in der Kubakrise. Ich habe wirklich geglaubt, wir kriegen eine Atombombe ab, und ich fand, ich brauche was, wo ich unterkriechen kann. So einen, wie sagt man noch?
Strahlenschutzbunker.
Genau. Also habe ich die Wand durchbrochen und dieses kleine Zimmer angefügt. Die Krise war schon vorbei, bevor ich fertig war, aber man kann ja nie wissen, oder? Diese Irren, die die Welt regieren, sind zu allem fähig.
Nick fühlt sich leicht beunruhigt, als er Ed so reden hört. Nicht dass er dessen Meinung über die Herrscher der Welt nicht teilen würde, aber er fragt sich nun doch, ob er sich nicht womöglich mit einem Geistesgestörten zusammengetan hat, mit einem haltlosen und/oder unzurechnungsfähigen Spinner. Das kann durchaus sein, sagt er sich, aber Ed Victory ist der Mann, den das Schicksal ihm geschickt hat, und wenn er an den Prinzipien des herabstürzenden Wasserspeiers festhalten will, muss er das jetzt durchstehen und die einmal eingeschlagene Richtung weiter verfolgen – komme was da wolle. Andernfalls wird sein Fortgang aus New York zu einer leeren, kindischen Geste. Wenn er das, was da geschieht, nicht akzeptieren, es nicht annehmen und sich nicht darauf einlassen kann, sollte er seine Niederlage eingestehen, seine Frau anrufen und ihr sagen, dass er wieder nach Hause kommt.
Am Ende erweisen sich diese Befürchtungen als grundlos. Im Lauf der nächsten Tage, als die beiden Männer zusammen in der Gruft unter den Eisenbahnschienen arbeiten, Telefonbücher in Apfelkisten auf Rollwagen kreuz und quer durch den Raum schieben, stellt Nick fest, dass Ed absolut zuverlässig ist, ein Mann, der zu seinem Wort steht. Nie bittet er seinen Helfer, sich zu erklären oder seine Geschichte zu erzählen, und Nick kann dieses Taktgefühl nur bewundern, zumal bei einem so gesprächigen Menschen wie Ed, dessen ganzes Wesen nichts als Neugier ausstrahlt. Tatsächlich hat Ed so feineManieren, dass er Nick nicht einmal nach seinem Namen fragt. Einmal erwähnt Bowen seinem Boss gegenüber, er könne ihn Bill nennen, aber da Ed begreift, dass der Name erfunden ist, hält er sich nur selten daran und zieht es vor, seinen Angestellten weiterhin mit
Blitz, Mister New
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