Nacht des Schicksals
Instinktiv wollte sie zurückweichen, doch sie widerstand dem Drang.
“Dein Haus gefällt mir, Brodie”, sagte sie. “Du hast eine wundervolle Atmosphäre geschaffen.”
“Ich habe hier nichts geschaffen, Kendra. Dies ist Jacks und Maureens Haus. Die Atmosphäre haben sie geprägt. Ich bin erst nach dem Unfall eingezogen und habe versucht, den Kindern zuliebe alles so zu lassen, wie es war. In letzter Zeit habe ich allerdings häufig gedacht, dass es Zeit für ein paar Veränderungen wäre. Das Haus ist zu klein, wir brauchen mehr Platz.”
“Wirst du etwas Neues bauen?”
“Wahrscheinlich.”
“Du hast dich ziemlich herausgemacht, Brodie.” Kendra lehnte sich an den Treppenpfosten und sah ihn an. “Dein Geschäft scheint auch sehr gut zu gehen.”
“Willst du wissen, wie alles begann?”
“Ich bin neugierig, ja.”
“Dad hatte eine hohe Lebensversicherung. Mein Bruder und ich waren gemeinsam als Begünstigte eingetragen. Da Dad und Jack gleichzeitig gestorben sind, ist alles mir zugefallen. Zufällig stand
Lakeview Construction
damals gerade zum Verkauf. Ich habe die Chance ergriffen. Die Firma gehört zur Hälfte den Kindern. Was sie mit ihrem Anteil machen werden, können sie entscheiden, wenn sie älter sind.”
“Ich erinnere mich, dass die Firma früher nur ein kleiner Handwerksbetrieb war. Es ist unglaublich, was du daraus gemacht hast. Dein Vater wäre stolz auf dich.”
“Ja, das wäre er wohl, obwohl er selber kein besonders ehrgeiziger Mensch war. Ich habe unser altes Haus übrigens behalten.” In seinen Augen lag jetzt wieder das vertraute spöttische Funkeln. “Du weißt schon, drüben im falschen Viertel, wo Dad Jack und mich großgezogen hat.”
Kendra hatte nicht bemerkt, dass Megan und Jodi die Treppe heruntergekommen waren, bis sie Jodi sprechen hörte: “Manchmal verkriecht er sich dort, wenn ihm hier alles zu viel wird … Stimmt’s, Dad?” Die Kleine sah lachend zu Brodie auf. “Es ist seine Zuflucht. So nennt er es, Mrs Westmore.”
“Ja, und je älter du wirst, du kleiner Schlaumeier, desto öfter habe ich das Bedürfnis, mich dorthin zurückzuziehen!” Brodie wollte Jodi einen Klaps versetzen, doch sie lief fröhlich kichernd weg. “Okay, Megan”, wandte er sich dann an Kendras Tochter, “bist du bereit, dieses Irrenhaus zu verlassen?”
“Es ist kein Irrenhaus, Mr Spencer. Es ist das schönste Haus, das ich je gesehen habe”, erwiderte Megan ernsthaft. “Ich bin froh, dass Mom mich am Samstag wiederkommen lässt. Ich kann es kaum erwarten!”
Als Kendra Megan an diesem Abend ins Bett brachte, fragte die Kleine: “Was ist eine Kupplerin, Mom?”
“Eine Kupplerin?” Kendra strich ihrer Tochter eine blonde Strähne aus der Stirn. “Das ist eine Frau, die einen Mann und eine Frau zusammenbringt. Warum fragst du?”
“Jodi hat gesagt, dass Hayley eine Kupplerin ist. Sie möchte, dass ihr Dad heiratet.”
“Ach wirklich?” Merkwürdig. Sie, Kendra, hatte eher den Eindruck gehabt, Hayley wäre besorgt, dass Brodie eine Frau finden könnte.
“Ja”, fuhr Megan fort. “Sie bemüht sich schon seit einer Ewigkeit darum, aber bisher hat sie noch nicht die Richtige gefunden. Es muss eine ganz besondere Frau sein, weil auch ihr Dad ein ganz besonderer Mann ist. Bis zum nächsten Herbst muss sie eine gefunden haben. Jedenfalls hat Jodi gehört, wie Hayley das zu ihrer besten Freundin Zoe gesagt hat. Hayley möchte nächstes Jahr aufs College gehen, aber das kann sie nicht, wenn ihr Dad immer noch allein ist. Und außerdem …”
Megan machte eine kleine Pause, um die Wirkung ihrer Worte zu verstärken. “… hat Jodi ein schlechtes Gewissen, weil Hayley das ihretwegen tut.”
“Jodis wegen?”
“Ja. Weil Jodi bald in einem Alter ist, in dem sie eine Mutter braucht. Na ja, Hayley ist nicht wirklich ihre Mutter, aber irgendwie doch. Verstehst du, was ich meine?”
Du liebe Güte! Was für Verwicklungen! Wie es schien, sollte Brodie von alldem nichts wissen. “Ja, ich verstehe, aber vielleicht will Mr Spencer gar nicht heiraten?”
“Oh, er wird es müssen. Hat Hayley jedenfalls zu Zoe gesagt. Eines Tages, hat sie gesagt, wird er heiraten müssen. Weil Männer Bedürfnisse haben.” Megan zwinkerte ihr verschwörerisch zu, doch offensichtlich hatte sie keine Ahnung, was für Bedürfnisse das sein mochten.
Kendra unterdrückte ein Lachen. “Genug geredet, junge Lady. Dein Bedürfnis ist jetzt ein gesunder Nachtschlaf!” Sie stand auf und ging
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