Nacht des Schicksals
noch um diese beiden Kartons kümmern. In einem sind Lebensmittel, und in dem, den du getragen hast, sind vor allem Megans Bücher und ein paar von ihren Spielsachen.”
Unbekümmert sah Brodie sich weiter um. Er öffnete die Türen zu einem pastellfarben gestrichenen Schlafzimmer, einem kleinen Bad und einer winzig kleinen Küche. “Nur ein Schlafzimmer?”, fragte er.
“Das ist ein Schlafsofa.” Sie deutete auf die Couch vor dem Fenster. “Megan kann das Schlafzimmer haben. Auf die Weise kann ich mich abends noch bewegen, ohne sie zu stören.”
“Viel Platz habt ihr nicht.”
“Unsere Wohnung in Vancouver war nicht größer.”
“Dann muss es für euch drei verdammt eng gewesen sein.”
“Für uns drei?”
“Mit deinem Mann, als er noch lebte.”
Brodie spürte, wie Kendra sich vor ihm verschloss. Sie ging ans Fenster und blickte angestrengt hinaus. “Megan und ich sind erst nach seinem Tod dorthin gezogen. Wir waren nur zu zweit.”
Er konnte sehen, wie sich ihre Schultern verkrampften.
“Und davor?”, fragte er. “Wo habt ihr da gelebt?”
“In Seattle. Dort wurde Megan auch geboren.”
“Was hat dein Mann denn beruflich gemacht?”
Kendra wandte sich um und schaffte es, seinem Blick standzuhalten. “Brodie, ich möchte lieber nicht darüber sprechen. Ich finde es immer noch … schwierig.”
Nach sechs Jahren? Liebte sie den Mann immer noch? “Es tut mir leid.” Er trat auf sie zu. “Ich wollte dich nicht in Verlegenheit bringen.”
“Das hast du auch nicht. Es ist nur … Ich rede nicht gern über die Vergangenheit.” Sie verschränkte abwehrend die Arme vor der Brust. Dadurch glitt der linke Träger ihres Kleids von ihrer Schulter.
Bevor sie reagieren konnte, streckte Brodie die Hand aus und schob den Zeigefinger unter den Träger. Er hörte, wie sie den Atem anhielt. Langsam schob er den Träger wieder an seinen Platz. Ihre Haut war warm und glatt. Ihr Duft war himmlisch. Er ließ die Spitze seines Zeigefingers sanft über ihren Hals gleiten. “Wo ist eigentlich Megan?”
“Megan?” Ihr Blick schien sich in der Ferne zu verlieren.
“Ja, Megan. Wo ist sie?”
“Oh.” Sie fuhr zusammen und blinzelte. “Megan. Sie ist in der Jazztanzgruppe. Ich muss sie gleich abholen.”
Brodie ließ die Hand sinken und hätte schwören können, dass ein Schatten über ihr Gesicht huschte. War sie enttäuscht? Das war nichts im Vergleich zu dem, was er empfand. Er unterdrückte einen Seufzer und sah auf die Uhr. “Na ja, ich muss mich auch auf den Weg machen! Ich habe heute Küchendienst. Ich muss mich beeilen, damit ich fertig bin, bevor das Spiel beginnt.”
“Eishockey?”
“Die Canucks gegen die New York Islanders.” Er musste sich zwingen, sich von ihr abzuwenden. “Wir sehen uns morgen”, sagte er an der Tür, “wenn du Megan bringst.”
“Richtig”, erwiderte sie. “Bis morgen. Und vielen Dank für die Hilfe.”
Der Speisesaal des Motels war frisch renoviert, und der Geruch frischer Farbe lag noch in der Luft. Auf den Tischen lagen rosa Decken, und auf jedem stand eine weiße Vase mit künstlichen Blumen.
“Ich glaube nicht, dass wir hier oft essen werden, mein Schatz”, bemerkte Kendra. “Ich hatte heute Abend nur keine Lust zum Kochen. Ich war den ganzen Tag unterwegs und dachte, dies hier würde etwas Besonderes werden.”
Megan breitete ihre Serviette auf dem Schoß aus. “Mom, können wir heute Abend den Walt-Disney-Film sehen? Er fängt um sieben an.”
Seit sie, Kendra, ihr die Frage nach ihrem Vater nicht beantwortet hatte, hatte sich Megan spürbar zurückgezogen. Kendra empfand heftige Schuldgefühle deswegen und war froh, dass sie ihrer Tochter jetzt einen kleinen Gefallen tun konnte.
“Sicher”, sagte sie. “Dann müssen wir uns aber mit dem Essen beeilen.” Das taten sie, und als die Mahlzeit beendet war, gingen sie gemeinsam in ihr Apartment zurück.
“Das Kino wird eine Klimaanlage haben”, rief sie Megan nach, die sofort im Bad verschwand. “Wir ziehen uns besser etwas Warmes an.” Sie entschied sich für Sweatshirt und Jeans und kämmte sich rasch die Haare. Als sie in den Flur kam, wartete Megan schon an der Apartmenttür.
“Wir müssen uns beeilen, Mom. Es ist schon Viertel vor sieben.”
Kendra griff nach ihrer Handtasche. “Hoffen wir, dass wir nicht lange anstehen müssen.”
Brodie fuhr noch einmal mit dem Wischlappen über den Küchentisch, schaltete die Geschirrspülmaschine an und trat an den Kühlschrank. Jetzt
Weitere Kostenlose Bücher