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Nacht in Havanna

Nacht in Havanna

Titel: Nacht in Havanna Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Martin Cruz Smith
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der ich dabei war?«
    »Das war keine Santeria.« Ofelia berührte ihre Kette. »Überlaß die Geister ruhig mir.«
     
    Das zweite Mal war weniger leidenschaftlich, aber genauso süß. Die lange Entfremdung von der Lust machte die Haut zu einer Landkarte der Sinne, die von der Rundung ihrer Brust über ihre rosafarbene Zunge bis zu den feinen Härchen auf ihrer Stirn in allen Einzelheiten erkundet werden mußte.
    Sie hatte eine ganze Reihe spanischer Kosenamen für ihn. Er mochte schlicht den Namen Ofelia, die Art, wie er den Mund füllte und nach Verträumtheit und Blumen klang.
    Beim zweitenmal fanden sie einen langsamen Rhythmus, der den Rücken hinaufwanderte. Er kannte den Takt nicht, doch Ofelia kannte ihn, das gleichmäßige Wiegen der großen Trommel, das gegenläufige Schwingen der shekere, das drängendere Tempo der batäs und zuletzt das dem Höhepunkt zustrebende Accelerando der iyä, der größten Trommel mit der tiefsten Stimmung und einem roten harzigen Kreis in der Mitte des Fells, der sich ausdehnte, je wärmer er wurde, bis sie sich atemlos und zum Reißen gespannt fühlte, während er bei ihr blieb mit pochendem Herzen, das arbeitete wie eine Maschine, die seit Ewigkeiten nicht mehr gelaufen war.
    »Jetzt weiß ich alles«, murmelte Ofelia. »Ich weiß alles über dich.«
    Sie legte ihren Kopf an seine Schulter. Das Seltsame war, wie gut sie paßte, dachte er. Als er in die Dunkelheit starrte, hatte er das Gefühl, losgelöst dahinzutreiben, so weit weg von Moskau, wie ein Mann nur sein konnte.
    »Was bedeutet peligroso?« fragte er.
    »Gefährlich.«
    »Das hat ein Mann an der Marina Hemingway gesagt. Hast du was dagegen, wenn wir dort anfangen?«
    In der Dunkelheit erzählte Ofelia ihm von dem Priester aus Hershey, der Stadt, in der sie aufgewachsen war.
    Der Priester war nicht nur Spanier, sondern wirkte auch so zerbrechlich, daß es hieß, er werde nur von seinem Rock aufrecht gehalten. Doch er verursachte einen Skandal, als er sich in die Frau eines Fabrikdirektors verliebte. Der Fabrikdirektor und seine Frau waren Amerikaner. Hershey war amerikanisch. Die Zuckerfabrik hatte zwei große Schornsteine, die schwarzen Rauch über die Holzschuppen der Arbeiter bliesen, doch in der Stadtmitte gab es eine schattige Allee und kühle Steinhäuser mit Fensterläden für die Amerikaner. Diese Straße durften nur Amerikaner und Kubaner mit Arbeitsgenehmigung betreten. Die Amerikaner unterhielten eine Baseball- und eine Basketballmannschaft, amerikanische Lehrerinnen unterrichteten kubanische und amerikanische Kinder. Auch die Frau des Fabrikdirektors und der Priester lehrten an der Schule der Stadt.
    Sie hatte engelsgleiches blondes Haar, das durch die Mantilla schimmerte, die sie beim Kirchgang trug. Von ihrem Mann wußte Ofelia nur, daß sein Oldsmobile immer glänzte, weil es ständig gewaschen wurde. Das Problem in Hershey war der dicke Ruß, der beim Verbrennen der Bagasse entstand, wie das Zuckerrohr nach dem Auspressen des Saftes genannt wurde. Bagasse brannte sehr heiß und produzierte einen Ruß dick wie Fell. Unter den Mädchen, die in den Häusern der Amerikaner arbeiteten, war es kein Geheimnis, daß der Fabrikdirektor trank und, wenn er betrunken war, seine Frau schlug. Als er eines Tages zur Schule kam und seine Frau aus ihrer Klasse zerren wollte, trat der Priester zwischen die beiden, und in diesem Moment wurde wahrscheinlich allen klar, daß der Priester und die Frau des Fabrikdirektors ineinander verliebt waren. Jeder konnte es sehen, alle wußten es. Noch in derselben Nacht verschwanden alle drei. Wochen später, als die Männer die Asche aus den Brennöfen der Zuckerfabrik abtransportierten, fanden sie Knochenreste und ein Kruzifix. Sie identifizierten es als das Kreuz, das der Priester immer um den Hals getragen hatte. Alle waren davon überzeugt, daß der Fabrikdirektor ihn getötet, seine Leiche in den Ofen geworfen und seine Frau mit zurück in die Staaten genommen hatte, bis ein Jahr später jemand von einer Reise nach New York zurückkehrte und behauptete, er habe die Frau des Fabrikdirektors auf der Straße gesehen, Arm in Arm mit dem Priester, der gar nicht gekleidet gewesen wäre wie ein Priester, sondern wie ein ganz normaler Mann. Jeder in Hershey lachte über diese Geschichte, weil sie sich daran erinnerten, wie zaghaft der Priester gewesen war. Nur Ofelia glaubte sie, weil sie gehört hatte, daß derselbe Priester gegen einen Bullen gekämpft hatte.
     
    22
     
    Ofelia

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