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Nacht in Havanna

Nacht in Havanna

Titel: Nacht in Havanna Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Martin Cruz Smith
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löste das Stirnband ab, zurück blieb ein roter Streifen aus Klebstoff und Stoffresten. Der Kopf war aus Pappmache und mit einer firnisharten Lackschicht überzogen wie ein schwarz verputzter, grober Schädel. In einer Schublade in der Kochnische fand Ofelia ein Sägemesser. Arkadi sägte von Ohr zu Ohr, bis er das Gesicht der Puppe abziehen konnte wie eine Maske. Darunter war zerknülltes Zeitungspapier, das ein flaches Oval aus dickem silbernen Klebeband verdeckte. Mit winzigen Schnitten arbeitete Arkadi sich am Rand des Ovals entlang und zog das Klebeband von fünf braunen, wachsweichen Stangen mit der englischen Aufschrift »Hi-Drive Dynamite« ab. Die Stangen waren angewärmt und zu einem festen Paket zusammengedrückt worden, das mit einer Rückwand aus Plexiglas in dem ovalen Hohlraum des Kopfes verstaut war. An der mittleren Stange hing die kreditkartengroße Schalttafel eines Funkempfängers mit einer Antenne und einer eingebauten Batterie in der Größe einer Kopeke. Arkadi schob die Tafel hoch. Die Drähte waren um das Kabel einer Zündkapsel gewickelt, die tief in dem Dynamit steckte. Er spürte, wie ihm trotz der Klimaanlage der Schweiß ausbrach. Seit fast einer Woche hatten er und Ofelia sich immer wieder in der Umgebung der Puppe aufgehalten. Irgend jemand hätte jederzeit auf den Auslöser der Fernzündung drücken und seinen Ausflug nach Havanna vorzeitig beenden können.
    Er legte Schere und Messer beiseite. »Haben wir irgendwas, was keine Funken schlägt?«
    Ofelia legte den Kopf der Puppe in ihren Schoß und grub die Zündkapsel behutsam mit den Fingernägeln aus. So eine Frau mußte man einfach bewundern, dachte Arkadi.
     
    25
     
    Das Licht, das im Morgengrauen durch das Rollo vor dem Fenster fiel, reichte Arkadi, um den auf dem Tisch liegenden Changö zu betrachten. Die beiden Hälften seines Kopfes ruhten auf seiner Brust. Geteilt sah das Gesicht lebendiger und bösartiger aus denn je.
    Ofelia lag schlafend unter Arkadis Mantel. Er zog seine alten Sachen an, band seine Gürteltasche um und zog ihr so behutsam wie möglich den Mantel weg. Dies war der Zeitpunkt, an dem sich ihre Wege trennen mußten. Sie hatte selbst gesagt, daß es schon schwierig genug werden würde zu erklären, wie sie in den Besitz der Puppe gekommen war. Einen Russen dabeizuhaben, würde die Sache bestimmt nicht erleichtern.
    »Arkadi?«
    »Ja?« Er hatte die Tür bereits geöffnet.
    Ofelia richtete sich am Kopfende des Bettes auf. »Wo werde ich dich wiedersehen?«
    Das hatten sie alles schon am Abend zuvor besprochen. »Auf jeden Fall am Flughafen. Mein Flug geht um Mitternacht. Es ist ein russisches Flugzeug und ein kubanischer Flughafen, also werden wir jede Menge Zeit haben.«
    »Du triffst dich mit Walls und O’Brien? Ich will nicht, daß du da hingehst. Zu ihrem Boot? Ich traue ihnen nicht.«
    »Ich auch nicht.«
    »Ich werde die Situation im Auge behalten. Wenn das Boot mit dir an Bord ablegt, schicke ich euch ein Polizeiboot hinterher.«
    »Gute Idee.« Das hatten sie alles bereits verabredet, doch er kam noch einmal zurück, um seinen Kopf für einen Moment an ihren Hals zu legen und sie auf den Mund zu küssen. »Was ist mit Blas und dem Foto?« fragte sie. »Ich gehe zu ihm.«
    »Überlaß das Foto mir.«
    »Und danach?«
    »Danach? Danach machen wir einen Einkaufsbummel auf dem Arbat, laufen unter Birken Ski, gehen ins Bolschoi, was immer du willst.«
    »Du wirst vorsichtig sein?«
    »Wir werden beide vorsichtig sein.«
    Ihr Blick ließ ihn los, und Arkadi schlüpfte hinaus in das matte zinnfarbene Licht des Morgens, das das Wasser säumte, während die Laternen langsam verblaßten. Er machte sich auf den Weg, Pribludas Geliebte zu treffen.
    An der nächsten Straßenecke traf er wieder auf ein Socialismo o Muerte-Plakat mit einem riesigen Commandante in Uniform, der, in der Bewegung erstarrt, in die gleiche Richtung marschierte wie er.
     
    Ofelia brauchte ein wenig länger, um sich anzuziehen, den Kopf der Puppe wieder zusammenzukleben und ihn in ihrer neuen Strohtasche zum Auto zu tragen. Als sie das Instituto de la Medicina Legal erreichte, Blas in einem Obduktionssaal gefunden und ihn hatte benachrichtigen lassen, daß sie ihn im Anthropologiezimmer erwartete, war es acht Uhr. In diesem Raum war man nie ganz allein, dafür gab es zu viele Schädel und Skelette, präparierte Käfer und unter dem Licht zusammengerollte Schlangen. Auf dem Tisch lag ein frisch gesäuberter Schädel unter der Videokamera.

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