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Nacht ohne Angst: Kriminalroman (German Edition)

Nacht ohne Angst: Kriminalroman (German Edition)

Titel: Nacht ohne Angst: Kriminalroman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Angélique Mundt
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können.«
    »Wirklich?«
    »Sie wusste es.« Erstmals blickte Kiana wieder hoch und Tessa direkt in die Augen. »Sie wusste es sofort.«
    Eine simple Feststellung. Und doch von weitreichender Bedeutung für ihr weiteres Leben. Beide genossen ein paar Minuten die Stille, die dieser Gewissheit folgte.
    »Aber mein Bruder darf es nie erfahren. Deshalb habe ich gesagt, dass Philipp bei mir war.«
    Tessa nickte nur. Natürlich. Kiana schützte ihren Bruder und die Tradition um jeden Preis.
    »Helfen Sie mir?«, fragte Kiana.
    »Kiana, ich möchte dir gerne helfen. Aber es ist ein langer Weg, und den kann ich nicht mit dir gehen. Du brauchst eine ambulante Therapie. Jemanden, der dir lange – vielleicht sogar über Jahre – zur Seite steht. Ich bin das nicht. Stationäre Aufenthalte dauern immer nur wenige Wochen. Wir haben einen Anfang gemacht. Einen guten Anfang. Nun müssen wir uns nach einer Fortführung umsehen. Verstehst du?«
    »Können Sie mich nicht weiterbehandeln?«
    Tessa zögerte eine Sekunde. Nichts täte sie lieber. Ihr war das Mädchen ans Herz gewachsen. Aber die Tage in dieser Klinik waren nicht nur für Kiana gezählt. Eine ambulante Niederlassung wäre eine berufliche Perspektive, über die Tessa zunehmend nachdachte. Doch es wäre zu diesem Zeitpunkt viel zu früh, Kiana Hoffnungen auf einen Therapieplatz zu machen.
    »Ich empfehle dir eine nette Kollegin. Eine Frau, der ich sehr vertraue und bei der ich sicher bin, dass du dich bei ihr wohl fühlen wirst.«
    Kiana nickte, als ob sie nichts anderes erwartet hätte, ihr Gesichtsausdruck erstarrte. »Ja, gut.«
    Da war sie wieder: Die erlernte Hilflosigkeit, die Selbstaufgabe. Tessa konnte sie verstehen. Sie hatte Gewalt und Brutalität erlebt, die so groß waren, dass sie jegliche Phantasie überstiegen. Sie hatte Jahre auf der Flucht verbracht und saß in Deutschland wieder mit der Angst, abgeschoben zu werden. Dazu kamen die Demütigung und Scham, nicht wie die Familie gestorben zu sein, sondern überlebt zu haben. Und damit auch die irrationale Schuld , überlebt zu haben.
    »Die Seele schwebt manchmal in höheren Sphären. Gleichsam über den Dingen. Die Realität spielt sich leider auf dem Boden der Tatsachen ab. Und hier gehen wir zu Fuß. Die Seele kommt da oft nicht mit. Sie läuft hinterher. Zwei Schritte vor und einen zurück. Deshalb brauchen wir Geduld. Vor allem mit uns selbst. Verstehst du? In unseren Träumen gehen die Dinge in wundersamer Weise immer gut aus. Aber die Wirklichkeit ist viel kleiner. Da gibt es keine Helden. Da gibt es nur den Alltag der eigenen kleinen Welt.«
    Kiana sah sie mit großen Augen an. Sie schien zu verstehen, denn sie nickte langsam. »Es gibt Wunder«, sagte sie.
    »Nein«, sagte Tessa »die gibt es wohl nicht.«
    »Kommissar Koster hat mir gesagt, dass ich nicht abgeschoben werde. Unsere Asylanträge sind endlich bewilligt.«
    Tessa blickte sie ungläubig an. Ihr fehlten die Worte.
    »Der Kommissar hat uns geholfen. Er hat mit jemandem bei der Behörde gesprochen. Mein Bruder und ich dürfen bleiben.« Sie begann zu weinen. Eine Zentnerlast schien ihr vom Herzen zu fallen.
    »Das ist ja großartig! Ich freue mich für dich, Kiana.« Tessa war fassungslos. Das Gespräch glich einer Achterbahnfahrt. Und plötzlich war sie glücklich.
    »Es gab Probleme, weil ich keine Geburtsurkunde mehr habe. Aber jetzt ist alles gut. Er hat mir geholfen«, erklärte Kiana.
    Tessas Kehle schnürte sich zusammen bei dem Gedanken an Torben. Er hatte ihr nichts davon erzählt, dass er sich für Kiana eingesetzt hatte. Sie hatten ein schlechtes Timing. Verbrachten mehr Zeit damit, sich gegenseitig zu verletzen, als über die wichtigen Dinge zu sprechen.
    »Ich rufe die Frau an, die mich behandeln soll«, sagte Kiana.
    »Das freut mich.« Tessa ging zum Schreibtisch, um die Telefonnummer aufzuschreiben. Sie hatte die Kollegin nach einem freien Therapieplatz gefragt. Sie war bereit, das Mädchen zu behandeln. Kiana würde überleben, auch wenn sie nie wieder vertrauen konnte. Tessa kam das Gespräch mit Brömme in den Sinn. Er hatte ihr vertraut. Und sie … hatte sie sein Vertrauen missbraucht? Plötzlich kam ihr eine Idee, und sie wusste, mit wem sie sprechen konnte. Er würde sie verstehen.
    *
    Sie fuhr in den Süden von Hamburg. In die Viermarschlande. Hier wohnte Paul mit seiner Frau und den zwei Hunden. In Curslack, auf einem kleinen Restbauernhof inmitten von grünen Wiesen und Feldern. Immer wenn Tessa den alten

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