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Nacht ohne Erbarmen

Nacht ohne Erbarmen

Titel: Nacht ohne Erbarmen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jack Higgins
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wie das bei wirklich guter Musik immer war. Sie floß über die Steine dahin wie Wasser ohne Ende. Ich vergaß, wo ich war, ich vergaß alles ringsum bis auf die Musik. Ich schloß ein Impromptu von Schubert an. Dann war ich fertig. Die letzte Note erstarb, und als ich den Kopf hob, stand er da und betrachtete das Porträt.
      Er drehte sich um und nickte feierlich. »Es ist noch in dir, Stacey, nach all der Zeit. Sie hätte sich sehr gefreut.«
      »Du weißt genau, daß ich niemals Konzertpianist geworden wäre«, sagte ich. »Du hast das wohl immer gewußt – sie nicht.«
      »Ist das so schlimm, wenn eine Mutter sich etwas für ihren Sohn erhofft?« Er lächelte wieder das Porträt an. »Sie sagte immer, daß jeder Mensch für irgend etwas Talent hat.«
      »Und was war dein Talent?«
      Die Worte rutschten mir unwillkürlich heraus, und ich bedauerte sie augenblicklich. Er fuhr herum, hob das Kinn, aber es kam zu keinem Ausbruch. Er nahm sich eine frische Zigarre aus einer silbernen Dose und ließ sich in den Polstersessel neben dem Kamin sinken.
      »Einen Brandy, Stacey – für uns beide. Du siehst aus, als würdest du ihn jetzt auch nicht mehr verschmähen. Dann
    können wir uns unterhalten.«
      Ich ging hinüber zu dem Schränkchen auf der anderen Seite des Zimmers, wo auf einem silbernen Tablett kristallene Schwenker und eine Karaffe standen.
      »Ich habe vor ein paar Jahren etwas über dich gelesen, mein Junge.«
      »So?« Ich war überrascht, versuchte es aber zu verbergen.
      »In einer französischen Zeitschrift – im ›Paris Match‹. Es war ein Artikel über die Söldner im Kongo, hauptsächlich über deinen Freund, aber du hast auf dem Bild gleich hinter ihm gestanden. Angeblich warst du Hauptmann.«
      »Das stimmt.«
      Während ich behutsam den Brandy eingoß, fuhr er fort: »Dann habe ich in einer römischen Zeitung einen Bericht darüber gelesen, wie ihr alle wie die Hasen verjagt worden seid.«
      Er wollte mich reizen, aber ich tat ihm den Gefallen nicht. »Das muß vor etwa zwei Jahren gewesen sein.«
      »Und was hast du seitdem getrieben?«
      »Dieses und jenes.« Ich ging auf ihn zu, einen Schwenker in jeder Hand. »Übrigens komme ich gerade aus dem Gefängnis. Diesmal in Ägypten. Längst nicht so angenehm wie das Ucciardone in Palermo. Oder kontrolliert die Mafia es etwa nicht mehr?«
      Sein Ebenholzstock fuhr hoch, schob meine Rockstöße zur Seite und entblößte die Waffe in ihrem Halfter.
      »Aha, Marco hat also recht. Ich wollte es nicht glauben. Das also ist aus dir geworden, wie? Ein Sicario – ein gedungener Mörder. Mein Enkel!«
      Dieser Zorn in seiner Stimme, dieser Abscheu war seltsam, aber ein echter Mafioso betrachtet sich eben niemals als Krimineller. Für ihn geschieht alles für die gute Sache, für die Gesellschaft.
      Ich reichte ihm seinen Brandy. »Bin ich denn schlechter als du? Bin ich in irgendeiner Hinsicht schlimmer als du?«
      »Wenn ich töte, dann geschieht es impulsiv«, sagte er. »Dann stirbt jemand, weil er gegen mich ist – gegen die Mafia.«
      »Das hältst du für einen hinreichenden Grund?«
      Er zuckte die Achseln. »Für mich ist es das. Es war immer so.« Er hob den Stock und tippte mir an die Brust. »Aber du, Stacey, wofür tötest du? Für Geld?«
      »Nicht einfach nur für Geld«, antwortete ich. »Für viel Geld.«
      Das stimmte nicht. Ich wußte es, und wahrscheinlich wußte auch er, daß ich es wußte.
      »Geld kann ich dir geben, soviel du willst.«
      »Das hast du ja jahrelang getan.«
      »Und du bist trotzdem gegangen.«
      »Und ich bin trotzdem gegangen.«
      Er nickte ernst. »Vor etwas mehr als einem Jahr ist ein Brief von einigen Rechtsanwälten in den Vereinigten Staaten gekommen. Man sucht dich. Dein Großvater – der alte Wyatt – hatte es sich auf seinem Sterbebett doch noch anders überlegt. Er hat dir in seinem Testament eine große Summe vermacht.«
      Ich wurde nicht einmal zornig. »Das Geld können sie den Indianern zurückgeben.«
      »Du willst es nicht?«
      »Soll sich denn meine Mutter noch im Grab herumdrehen?« Ich wurde mit jeder Minute mehr zu einem Sizilianer.
      Das schien ihm zu gefallen. »Ich bin froh, daß in dir noch ein Funken Ehre steckt. Und jetzt sag mir bitte, weshalb du hier bist. Ich bin nicht so eitel, anzunehmen, daß du meinetwegen nach Sizilien gekommen bist.«
      Ich ging hinüber und goß mir noch einen

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