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Nacht ohne Erbarmen

Nacht ohne Erbarmen

Titel: Nacht ohne Erbarmen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jack Higgins
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Erscheinen meines Großvaters. Zuerst versuchte ich es mit einem Stück von Debussy, danach mit drei kurzen Sätzen aus Ravels Sonatine. Danach packte mich der Ehrgeiz. Ich blätterte in Noten und arbeitete mich durch Bachs Präludium und Fuge in S-Moll. Herrliche unterkühlte Musik, die trotzdem wunderbar klang, selbst wenn meine Technik im Laufe der Jahre ein wenig nachgelassen hatte.
      Ich war fertig, aber er war immer noch nicht erschienen. Da ging ich nachsehen und sah ihn zu meiner Überraschung mit einer Flasche und zwei Gläsern vor sich auf der Terrasse sitzen.
      »Ich wollte dich nicht stören«, sagte er. »Ich habe von hier aus zugehört. Klang gut.«
      »Aus der Entfernung.«
      Er lächelte und schenkte mir ein. Es war ein ausgezeichneter Marsala. Nicht gerade einer meiner Lieblingsweine, aber das hätte ich um nichts in der Welt gesagt, denn plötzlich herrschte ohne ersichtlichen Grund zwischen uns eine vertraute Stimmung. Es war etwas sehr Echtes, das ich nie verlieren wollte.
      »Wie bist du in den Bergen zurechtgekommen?« fragte er mich.
      »Hat Marco dir denn nicht berichtet? Ist er noch nicht zurück?«
      Er brachte einen Ausdruck leisen Erstaunens zustande, der aber auf mich nicht den geringsten Eindruck machte. »Marco war, wie jeden Freitag, den ganzen Tag in Palermo. Für uns ist es der anstrengendste Tag der ganzen Woche. Da müssen Rechnungen geprüft und Banksachen erledigt werden. Du weißt doch, wie es im Geschäft ist.«
      Ich lächelte. »Schön, bleiben wir bei deinen Spielregeln. Ich habe mit Gerda gesprochen. Er sagte mir, wo Serafino nach seiner Meinung stecken müßte. Aber wie man ihn dort fangen soll, das steht auf einem anderen Blatt – wo auf jedem Berggipfel ein Schafhirt für ihn Wache hält. Möglich ist es.«
      »Darf man fragen, wie?«
      Ich erklärte es ihm.
      Er runzelte die Stirn. »Hast du so etwas schon einmal gemacht?«
      »Ach ja, ich bin recht geübt darin.«
      »Aber im Finstern in eine solche Gegend abzuspringen, das klingt doch ungewöhnlich gefährlich?«
      »Schon möglich, aber es geht.«
      »Warum, Stacey? Warum tust du so etwas? Weshalb führst du dieses Leben?«
      »Schließlich geht es doch um Geld.«
      Er schüttelte den Kopf. »Das hatten wir schon einmal – es genügt mir nicht. Nein, wenn ich dich ansehe, dann sehe ich mich selbst, wie ich vor vierzig Jahren war. Man sieht dir deutlich den Mafioso an.«
      »Damit willst du wohl sagen, daß mir das Spielchen Spaß macht«, erklärte ich. »Es ist ein grausames und blutiges Spiel, aber alles, was ich habe. Das Spiel – und Burke.«
      Ich stand auf und trat an den Rand der Terrasse. Da sagte er leise: »Du magst ihn nicht?«
      »Es geht noch tiefer. Alles, was ich bin, habe ich ihm zu verdanken, das sagen mir die Leute so oft, daß ich es schon nicht mehr hören kann.« Ich drehte mich zu ihm um. »Er hat mir beigebracht, daß man, wenn man schon töten muß, genausogut von rückwärts wie von vorn schießen kann. Daß es nichts ausmacht. Aber das stimmt nicht.«
      Ich wünschte mir verzweifelt, daß er mich verstehen möge, das war mir wichtiger als je etwas anderes zuvor.
      »Ohne gewisse Regeln geht es nicht – nichts hat Sinn. Mit diesen Regeln hat man wenigstens noch etwas, woran man sich halten kann.«
      Er nickte, und ein leises Lächeln spielte um seine Mund winkel. »Hast du das auch aus diesem Loch mitgebracht, Stacey?«
      »Ich denke schon.«
      »Dann hat es sich gelohnt.« Er nahm eine Zigarre aus der Kiste.
      »Jetzt sei ein guter Junge und spiel mir noch einmal das Lieblingsstück deiner Mutter.«
      In der Musik lag etwas von Vollkommenheit, und sie stand wieder lebend neben mir. Das Leben in all seiner Traurigkeit und Schönheit war in einem einzigen Augenblick eingefangen, der nie zu enden schien.
      Als ich aufhörte, liefen mir Tränen über die Wangen.
      Hoffer war wieder da, als ich in die Villa zurückkehrte. Im Salon schien eine Art Kriegsrat zu tagen. Burke machte einen völlig anderen Eindruck. Er hatte sich rasiert und trug ein Khakihemd mit Schulterstücken, in dem er wie ein richtiger Soldat wirkte.
      Aber die Veränderung ging noch tiefer. Von ihm ging eine Forschheit und Autorität aus, wie ich sie seit meiner Rückkehr nicht mehr erlebt hatte.
      Als ich eintrat, hob er den Kopf von der Landkarte und sagte ruhig: »Da bist du ja, Stacey. Ich habe gerade alles mit Mr. Hoffer

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