Nacht ohne Schatten
Streit war schnell vorbei.«
»Wie konnten Sie da so sicher sein?«
»Sie hatten Sex, als ich ging.«
»Was für Sex?«
»Wie bitte?«
»Kann es eine Vergewaltigung gewesen sein?«
Eine Schmerzwelle jagt durch Theas Bein, weil sie sich zu heftig bewegt hat. Sie ballt die Fäuste. »Wie soll ich das wissen? Es hat ja niemand um Hilfe geschrien.«
»Haben Sie Nada danach überhaupt noch mal gesehen?«
»Ich glaube schon.« Thea versucht sich zu erinnern. »Doch, ja, am nächsten Vormittag, als sie sich das Messer lieh. Sie wirkte völlig normal.«
»Das Messer«, echot die Kommissarin.
»Ich meine, wenn Nada vergewaltigt worden wäre â ich hätte ihr das doch anmerken müssen, ansehen?«
»Man sieht solche Verletzungen nicht auf den ersten Blick.« Die Kommissarin krakelt eine völlig unleserliche Notiz in ihr Heft und beginnt dann im Stakkatotempo zu dozieren. Ãber Gewaltopfer. Ãber Nadas Callgirl-Vergangenheit. Darüber, dass sie Nada trotzdem und trotz aller Affären nicht für käuflichhält, sondern für eine Frau mit Prinzipien, die sich vor allem als Künstlerin begreift.
»Ja, das stimmt.« Auf einmal kommen die Bilder aus den Ateliers zurück, die Thea bislang verdrängen konnte. Kunst in schwarzen Trümmern, Nadas, Theas. Was für eine Ironie, dass das einzige von Theas aktuellen Bildern, das nicht verbrannt ist, nun ausgerechnet bei der Kommissarin hängt.
Judith Krieger lehnt sich vor. »Ich glaube, dass Nada tot ist, ermordet von dem Mann, mit dem sie gestritten hat. Ich glaube, dass sie dieses Messer von Ihnen ausgeliehen hat, um sich zu schützen.«
Thea starrt sie an. »Aber doch nicht vor Paul â¦Â«
»Alexander Nolden, was wissen Sie von ihm?«
»Alex?«
Der blaugraue Blick wird noch intensiver, als ob die Kommissarin Theas Worte aus ihr heraussaugen wollte. »Sie sind näher miteinander bekannt?«
»Ich war in der Meisterklasse seiner Mutter. Roswitha Nolden.«
»Und deshalb duzen Sie ihren Sohn?«
»Roswitha hat mich sehr gefördert, auch nach dem Studium noch. Ich war oft bei ihr zu Hause, manchmal war auch Alex da.«
»Weiter.«
»Nichts weiter. Wir haben uns unterhalten, meist über Kunst. Dann passierte mein Unfall, und alles war sowieso anders. Roswitha war damals schon sehr krank. Alex hat mich ab und zu im Krankenhaus besucht. Das werde ich ihm nie vergessen. Er hat mich dadurch wieder zur Kunst gebracht, mir Mut gemacht, ich konnte ja erst mal nur an meine Behinderung denken.«
»Liebte er Sie?«
»Einen Krüppel?« Thea lacht bitter. »Selbst wenn: Ich wollte kein Mitleid, hätte das zu verhindern gewusst.«
»Sie sind Nada ähnlich.«
Thea schluckt hart. »Was wollen Sie damit sagen?«
»Nada hat Alexander Nolden als Hauptsponsor für die Kunstfabrik gewonnen. Wie weit ging Noldens Unterstützung? Hat er ein Verhältnis mit ihr?«
Paul und Nada, Alex und Nada, kann das sein? Ja, natürlich, warum auch nicht. Weià sie wirklich, wie Paul und Alex in Extremsituationen klingen und wozu sie fähig sind? Beim Sex mit einer jungen Frau? Bei einem Streit? Oder hat sie sich das alles nur eingebildet, frustriert und allein, zerfressen von Neid?
»Ich möchte einen Namen, Frau Markus. Sie machen sich strafbar, wenn Sie jemanden schützen, aus falsch verstandener Solidarität.«
Thea zwingt sich, den Blick der Kommissarin zu erwidern. »Paul oder Alex? Ich kann mir einfach nicht vorstellen, dass einer von beiden ein Mörder ist.«
* * *
Sie muss verrückt sein, total verrückt, denn was sie vorhat, ist vollkommen irrational. Ekaterina zieht Pelzmütze und Anorak an, löscht das Licht in ihrem Arbeitszimmer, tritt auf den stillen, dunklen Flur. Sie sollte heimgehen zu Tjuollda, ein Bad nehmen, sich stärken für ihr bevorstehendes Abenteuer mit Kommissar Korzilius. Doch eine fremde, unverständliche Macht treibt sie am Haupteingang des Rechtsmedizinischen Instituts vorbei, hinunter in den Kühlkeller, wo die Toten auf sie zu warten scheinen.
Ekaterina schlieÃt die schwere Tür hinter sich und atmet tief durch. Die Metallwand mit den Bahren schimmert grünlich im Schein der Notbeleuchtung, das vertraute Summen der Kühlanlage gibt ihr Mut. Sie öffnet erst Bergers Fach, dann das von Baldi, zwingt sich, ihm ins verkohlte
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