Nacht ohne Schatten
von der Polizei sogar zu schätzen, weil sie erkannt haben, dass die gewaltsamen Ãbergriffe der Freier dadurch deutlich zurückgegangen sind. Und auch die Freier selbst kommen nach anfänglichem Zögern zahlreich, weil sich ihre Sorge um verlorene Anonymität als unbegründet erwies. Sogar die Bürger im nahen Longerich haben sich beruhigt.
Ein Sichtschutzzaun markiert den Anfang des Geländes, Manni rollt im Schritttempo hinter einem Passat mit Babyan-Bord-Aufkleber zur Anbahnungszone. Die Russin Irina hat rote Haare und fast keine Zähne, was, wenn er den Empfehlungen seiner Online-Kumpels glauben darf, den besonderen Kick beim Oralverkehr garantiert. Manni schaudert, fixiert die Ladys am StraÃenrand. Auf dem DrogenstraÃenstrich arbeiten normalerweise die Kaputtesten der Kaputten, die kein Bordellbesitzer der Welt mehr einstellen würde. Doch das Kölner Modellprojekt hat das verändert. Die Sicherheit und kleine Extras wie Toiletten und Waschräume wissen inzwischen auch Nutten zu schätzen, die clean sind. Hartz-IV-Empfängerinnen zum Beispiel oder die üblichen Doofies, die im Auftrag ihrer Ehemänner oder sogenannten Freunde auf die StraÃe gehen, aus Liebe, wie es dann so schön heiÃt.
Nicht rothaarig, zu alt, zu viele Zähne, zu blond. Bemüht, keinen Blickkontakt aufkommen zu lassen, fährt Manni an den Huren vorbei. Geradeaus erkennt er den Blechcontainer,in dem die Frauen sich während der Ãffnungszeiten aufwärmen und von Sozialarbeiterinnen beraten lassen können. Bei der Riege schmaler, an der Stirnseite offener Blechgaragen handelt es sich um die sogenannten Verrichtungsboxen, die bei der Eröffnung für bundesweite Schlagzeilen sorgten. Auch sie sind eine Erfindung aus Utrecht, die gleich mehrere Fliegen mit einer Klappe schlägt. Zum einen sind die Paare vor fremden Blicken geschützt, wenn sie zur Sache kommen, und somit kein öffentliches Ãrgernis mehr. Zum anderen sind die Boxen so ausgestattet, dass sich die Nutten sicher fühlen. Denn eine Betonschwelle an der Wand neben der Fahrertür verhindert, dass die Freier aussteigen können, wenn sie erst mal rein gefahren sind. Die Nutten hingegen können sich im Fall der Fälle vom Beifahrersitz aus durch eine Stahltür in den Aufenthaltsraum im Rücktrakt der Verrichtungsboxen retten und per Alarmknopf Hilfe ordern.
Der Familienpapa vor Manni hat seine Wahl getroffen, ein magersüchtiges Mädchen mit steinaltem Gesicht steigt bei ihm ein. Manni lenkt den GTI in die nächste Runde. Ab 22 Uhr sei Irina sicher hier, hat ihm sein Online-Kumpel Supersize geschrieben, doch wie verlässlich ist das nur?
»Ist Irina da?«
Heilige ScheiÃe, die Petrowa hat er schon fast vergessen, ihre dunkle Stimme versetzt ihm eine Gänsehaut.
Ich seh sie nicht, will er sagen, doch im selben Moment stolpert eine rotmähnige Lady in den Lichtkegel seiner Scheinwerfer, die exakt den Beschreibungen aus dem Internet entspricht.
»Ich hab sie, ruhig«, zischt er durch die Zähne, bremst und lässt das Beifahrerfenster runter.
»Irina?«
Das zahnlose Lächeln lässt er als Antwort durchgehen. Schwer atmend lehnt sich die rote Russin zu ihm herein. Schweià perlt auf ihrer Stirn, ihr Atem riecht säuerlich und nach kaltem Zigarettenrauch.
»Blase dreiÃig, ficki fünfzig, ohne hundert.«
Ficki, das hat auch die verängstigte Kleine gesagt. Die Erinnerung an sie wirkt elektrisierend.
Manni ringt sich ein Lächeln ab. »Ohne. Steig ein.«
Irina wirft sich auf den Beifahrersitz und mustert ihn. Ihre Hände krampfen sich ineinander, ein vergeblicher Versuch, das Zittern der beginnenden Entzugserscheinungen zu kaschieren.
»Fünfzig vorher, fünfzig nachher.«
Manni nickt, steuert auf die Verrichtungsboxen zu. Drei sind belegt, das Heck des Passats schaukelt sachte. Die Holländer haben wirklich an alles gedacht, sogar zwei schmalere Boxen für die Bedürfnisbefriedigung der rad- oder mopedfahrenden Klientel haben sie eingeplant. Doch das ist jetzt uninteressant. Manni lenkt in die hinterste freie Box und schaltet den Motor ab. Die rote Russin reagiert prompt und macht einen Schmollmund, was offenbar animierend wirken soll. Ihr Perückenhaar knistert statisch an der Kopfstütze, als sie sich Manni zuwendet. Manni fischt einen Geldschein aus seiner Hosentasche. Irina grimassiert ein Lächeln und schält
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