Nacht ohne Schatten
sich routiniert aus ihrer abgeschabten Lacklederjacke, nachdem sie den Schein in ihrem Stiefelschaft verstaut hat. Ein Geruchspotpourri aus Schweià und süÃlichem Parfum erfüllt den GTI.
»Halt, warte bitte.« Manni ergreift die Hand der roten Russin, bevor sie sich selbst oder gar ihm weitere Kleidungsstücke vom Leib pulen kann. Sie hebt an zu protestieren, besinnt sich aber, als er mit einem weiteren 50 -Euro-Schein wedelt.
»Ich hab eine Freundin dabei. Sie will mit dir reden«, sagt Manni sehr langsam und deutlich.
Dunkel melodisches, Manni vollkommen unverständliches Russisch ist die Antwort, nicht aus Irinas Mund, sondern von der Petrowa, die sich nun ganz vorsichtig aufrichtet. Die rote Russin entreiÃt ihre Hand mit erstaunlicher Kraft Mannis Griff und rückt von ihm ab. Ihre von Wimperntusche verklebten Augen flackern. Sie langt nach dem Türöffner, doch offensichtlich gelingt es der Petrowa, sie zum Bleiben zu überreden. Vorerst zumindest, das macht Irinas Körperhaltung überdeutlich klar.
Eigentlich hatte Manni geplant, die Fragen selbst zu stellen und Ekaterina Petrowa nur als Dolmetscherin einzusetzen, nun wird ihm klar, dass es so nie und nimmer funktioniert hätte. Er gibt der Rechtsmedizinerin die Fotos, beobachtet, wie sie eins nach dem anderen an Irina weiterreicht, ohne ihren Redefluss zu unterbrechen. Swetlana. Berger. Baldi. Nada. Das Russische ist wirklich eine schöne Sprache, ganz weich. Irina gibt ihm die Fotos zurück, es sieht nicht aus, als habe sie eine der Personen erkannt, aber die Petrowa kommt jetzt offenbar richtig in Schwung.
Da,
erwidert sie,
da, da, da,
wenn Irina etwas sagt, eine einzige Silbe, die beinahe zärtlich klingt. Frage, Antwort, Frage, Antwort.
Da. Da.
Reden sie über das Wetter? Kochrezepte? Weltpolitik? Menschenhandel?
»Frag sie nach Igor, Igor Popolow«, drängt Manni, als die Frauen eine Pause machen.
Ein keuchender Laut ist die Antwort, und bevor Manni etwas tun oder sagen kann, ist die rote Russin bereits aus dem Auto gesprungen und durch die Stahltür ins rettende Hinterzimmer verschwunden, ganz so, als sei der Teufel hinter ihr her.
Dienstag, 17. Januar
Sie ist weitergekommen, sehr viel weiter. Die Nebel lichten sich. Sie kennt jetzt Swetlanas Geschichte und ihre Identität. Und doch erscheint Judith das Gesamtbild unklarer denn je. Sie schert nach links aus und gibt Gas. Ihre Ente schnarrt dünnbrüstig, fügt sich dann und beschleunigt, so dass Judith den Traktor hinter sich lassen kann. Kahle Weinberge erheben sich neben der BundesstraÃe in den wolkenverhangenen Morgenhimmel, der Rhein sieht aus wie flüssiges Blei. Im Sommer ist eine Schiffstour über diesen zum Weltkulturerbe geadelten Flussabschnitt ein Highlight für Touristen aus aller Welt. Jetzt wirken die Schlösser, Burgen und Dörfer öde, vom viel besungenen Loreleycharme dieser Landschaft ist nichts zu spüren.
Coras Fürsprache hat Judith am frühen Morgen nach Remagen gebracht, in eine Schutzwohnung für Frauen, die erst wieder lernen müssen, dass es so etwas wie Sicherheit für sie gibt. Lea Ackermann, eine deutsche Nonne, die es sich zur Lebensaufgabe gemacht hat, Frauen und Mädchen zu retten, die als Sexsklavinnen quer durch die globalisierte Welt geschleust werden, steht den Schutzwohnungen mit ihrem Verein Solwodi vor. Psychologinnen, Pädagoginnen und Juristinnen unterstützen sie, versuchen den Frauen, die es zu ihnen schaffen, zur Seite zu stehen, damit sie neu anfangen können und möglichst auch die Kraft finden, gegen ihre Peiniger auszusagen.
Die Frauen brauchen viel Zeit, wenn sie bei uns ankommen. Kotzen sich meist erst mal wochenlang ihren Ekel aus dem Leib, hat die Sozialarbeiterin Judith erklärt. Auch Olga habe das getan. Olga, Swetlanas beste Freundin, der es gelang zu entkommen. Die Judiths Fragen beantwortete, zögernd, ganzleise und nur, weil Judith nicht als Polizistin kam, nichts von ihr forderte, schon gar nicht, dass Olga ihre Antworten in einer offiziellen Vernehmung wiederholt. Judith presst die Lippen zusammen. Jedes einzelne Wort hat Olga wehgetan, das war deutlich zu spüren. Als Judith ihr schlieÃlich von Swetlana erzählte, begann Olga zu weinen, und die Betreuerin hatte Judith weggeschickt.
Regen tropft auf die Windschutzscheibe, das Gebläse der Ente versagt einmal mehr seinen Dienst, die Scheiben beschlagen. Judith hält bei
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