Nacht ohne Schatten
einer Tankstelle, kauft ein Reinigungstuch gegen das Beschlagen und einen Becher Milchkaffee, raucht eine Zigarette im Nieselregen, an den Kotflügel der Ente gelehnt. Puzzlesteinchen fügen sich zusammen. Berger, Baldi, Swetlana, ihre Verbindungen miteinander. Igor Popolow heiÃt der Mann, der für Swetlanas und Olgas Schicksal verantwortlich ist, Manni hat recht. Doch was Nada angeht, sieht Judith noch immer kein Licht. Wieder, schon wieder, rekapituliert sie, was sie weiÃ: Nada hat kurz vor ihrem Verschwinden in ihrem Atelier mit einem Mann gestritten. Dieser Mann hat sie vergewaltigt, wahrscheinlich, vielleicht. Nada hat niemandem davon erzählt und auch keine Anzeige erstattet. Stattdessen hat sie sich von Thea Markus das Schnitzmesser geliehen, mit dem später der S-Bahn-Fahrer Wolfgang Berger erstochen wurde. War er der Mann, der Nada vergewaltigte und schlug? Hat sie ihn deshalb erstochen? Er war nicht attraktiv genug, um für Nada als Liebhaber reizvoll zu sein. Hat Manni also auch damit recht, dass Nada noch immer als Callgirl arbeitet, war Wolfgang Berger ein Kunde von ihr?
Judith tritt ihre Zigarette aus, reinigt die Scheiben ihrer Ente, wählt Coras Nummer.
»Ich komme noch immer nicht mit dieser Nada weiter«, sagt sie, nachdem sie sich bei der Frauen-für-Frauen-Leiterin für den Kontakt zu Olga bedankt hat. »Ich kann nicht glauben, dass sie noch als Callgirl arbeitet, das passt einfach nicht.«
»Manche Frauen in unserer Kartei geben sich Decknamen,ihren Mädchennamen zum Beispiel oder den Namen ihrer Mutter.«
»Natürlich, ja, ich schau, was ich finden kann.«
»Gib die Namen auch an Dr. Petrowa.«
»Danke, Cora, du weiÃt schon, für alles.«
»Viel Glück, Judith, ich wünsch dir Erfolg.«
Judith lächelt. Tagelang haben ihre Albträume sie gequält, die Angst vor dem Fallen, die geheimnisvolle Drohung. An diesem Morgen ist sie zum ersten Mal seit Langem aus einem traumlosen Schlaf erwacht. Warum? Sie kann sich das nicht erklären, vielleicht ist es die Ruhe vor dem Sturm, vielleicht befindet sie sich auch längst im Auge des Taifuns, ohne es zu wissen. Geblieben ist die Dringlichkeit, das Gefühl, nicht lockerlassen zu dürfen, auf keinen Fall. Sie hat geduscht, gefrühstückt und dabei die Tarotkarten der letzten Wochen angesehen. Der Prinz der Kelche. Der Narr. Verlangen und Mut, was beides Risiko bedeutet und Erfolg bringen kann, vielleicht aber auch Verderben.
Die Musik von Laura Veirs begleitet Judith zurück nach Köln. Eine Raubkopie, die Gero Sanders für sie angefertigt hat und ihr aufnötigte, weil sie die CD bei ihm hörte und sofort mochte. Ich treibe in der stillen, grünen See, plündere zertrümmerte Frachtschiffe, weià nicht, ob die Wellen mich hinab ins Reich der Würmer ziehen, singt die amerikanische Liedermacherin und beschreibt damit ziemlich genau Judiths Stimmung. Sie hat sich entschieden, den Journalisten Sanders nach der erneuten Vernehmung von ihrer Verdächtigenliste zu streichen, vorerst jedenfalls. Sie hält daran fest, dass Nada nicht die Täterin ist und auch keine Prostituierte. Sie kann nicht begründen, warum sie das tut, und wenn sie Pech hat, wird sie damit untergehen.
Sie erreicht das Polizeipräsidium eine Dreiviertelstunde später. Das Morgenmeeting ist längst vorbei, aber Manni, Kühn und Makowski sitzen in Axel Millstätts Büro.
»Sie heiÃt Swetlana Daschkowa«, sagt Judith und zieht dieTür hinter sich zu. »Sie ist siebzehn Jahre alt und stammt aus Archangelsk. Sie wurde zusammen mit ihrer Freundin Olga nach Deutschland verschleppt. Die übliche Geschichte. Die Mädchen träumten davon, einen Schönheitssalon zu eröffnen. Swetlana wollte Kosmetikerin werden, ihre Freundin Friseurin. Sie brauchten Startkapital, dachten, sie könnten es sich in Deutschland als Kellnerinnen verdienen.«
Die vier Männer starren Judith an. Ungläubig, nur langsam dämmert Verständnis auf ihren Gesichtern.
»Es ist noch nicht ganz klar, wie genau sie nach Deutschland gekommen sind. Eine Frau hat sie in einer Disco in Archangelsk angesprochen, aber der Drahtzieher in Deutschland ist Igor Popolow.«
Judith sucht Mannis Blick, der bei der Erwähnung des Zuhälters Anstalten macht aufzuspringen.
»Warte.«
Manni nickt, fügt sich, angespannt, zum Sprung bereit.
»In Deutschland landeten sie
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