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Nacht ohne Schatten

Nacht ohne Schatten

Titel: Nacht ohne Schatten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gisa Klönne
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aufgeschaut und sich gefragt, was dort drinnen geschieht? Kunst, das Gute, Schöne, Wahre, Einzigartige. Wie abstrakt das ist. Wie irrsinnig weit entfernt von einer Existenz mit ein paar Plastiktüten, in kaltem Dreck.
    Judith drängt sich an einem Künstlergrüppchen vorbei zu Theodora Markus.
    Â»Wem gehört eigentlich das Eckatelier am Ende des Flurs, dessen Fenster zur Pizzeria hinausgehen?«
    Â»Das ist unser Abstellraum.«
    Â»Jeder von Ihnen hat also Zugang dazu?«
    Die Künstlerin nickt. »Wollen Sie ihn sehen?«
    Farbdosen, Werkzeuge, zwei alte Ölöfen, Holz und allerlei Gerümpel befinden sich in dem nur wenige Quadratmeter großen Abstellraum. Die Fenster sind blind vor Schmutz, die Griffe ebenso. Die schwach beleuchtete Straße, an der die Pizzeria Rimini liegt, ist allenfalls zu erahnen.
    Â»Zufrieden?« Theodora Markus lehnt am Türrahmen. Das Gehen hat sie angestrengt. Kleine Schweißperlen haben sich auf ihren Schläfen gebildet.
    Â»Danke. Auch für den Wein. Bitte informieren Sie mich, wenn Ihre Kollegin Nada sich meldet«, sagt Judith und gibt ihr eine Visitenkarte.
    Die Künstlerin schiebt sie in eine der zahlreichen Taschen ihrer schwarzen Cordhose und verschließt den Abstellraum sorgfältig, nachdem Judith ihn verlassen hat.
    Â»Kommen Sie am Donnerstag zu unserer Benefizgala, wenn Nada sich bis dahin nicht bei Ihnen gemeldet hat«, sagt sie. »Da ist sie bestimmt, die hat sie nämlich organisiert.«
    Der Lebenskünstler Paul Klett schlendert ihnen auf dem Flur entgegen. Judith spürt, dass sich Theodora Markus neben ihr versteift, wie ein Tier auf der Hut. Wieder hat sie das Gefühl, dass sich hinter der burschikosen Fassade der Künstlerin eine weitaus zartere Persönlichkeit verbirgt und möglicherweise doch ein Geheimnis, das für diese Ermittlungen von Bedeutung ist.
    Â»Holst du der Kommissarin eine Benefiz-Einladung und lässt sie unten raus, Paul, du weißt schon, mein Bein.« Die Worte der Bildhauerin verraten nichts von der Anspannung, die Judith an ihr wahrzunehmen glaubt.
    Â»Was ist eigentlich mit Ihrem Bein passiert?«, fragt Judith.
    Â»Ein Unfall. Jemand hat mich angefahren.«
    Â»Das tut mir leid.«
    Â»Muss es nicht. Das ist jetzt über 25 Jahre her. Ich habe gelernt, damit zu leben.«

Montag, 9. Januar
    Die Pennerin ist sauber, nun ja, jedenfalls was einen Tatverdacht angeht. Der Zeuge, der sich schon am Tatort als Tölpel erwies, hat sie nicht identifiziert. Zu dunkel sei es auf dem Bahndamm gewesen, hat er bei der Gegenüberstellung gejammert. Zu schnell sei alles gegangen, außerdem sei er in der Mordnacht müde gewesen und es habe geregnet. Und auch die Spurensicherer haben nichts Brauchbares vorzuweisen. Marianne Dorn, 62 Jahre, kinderlos, verwitwet, ohne festen Wohnsitz. Die Nacht in der Zelle und die damit verbundene Ausnüchterung haben immerhin dazu geführt, dass sie sich an ihren Namen erinnerte und nicht mehr jeden Polizeibeamten sofort mit Obszönitäten bedachte. Mehr war bei ihr nicht zu holen. »Scheißkanaken« hat sie zum Abschied geschrien, ohne dass klar wurde, wen sie damit meinte.
    Manni lenkt den mehr als schrottreifen Dienst-Focus im schnittigen Bogen auf den Parkplatz des Rechtsmedizinischen Instituts. Das ausgeleierte Getriebe ächzt, als er den Wagen vor dem Treppenaufgang zum Stehen bringt. Gestern Abend hat endlich Sonja angerufen. Gut gelaunt, als ob nichts geschehen wäre. Sie habe ihm doch erzählt, dass sie am Wochenende an einem Yoga-Workshop teilnehme und ihr Handy auslasse, ob er das vergessen habe? Ein hämmerndes Geräusch am Fenster der Beifahrertür reißt ihn aus seinen Gedanken, der Wagen würgt und macht einen Satz vorwärts, weil Mannis Fuß vor Schreck von der Kupplung rutscht. Wie eine Erscheinung taucht die Russin im Rückspiegel auf. Wasser tropft von ihrer Pelzmütze auf einen weißen Anorak, giftgrüne Hosenbeine schauen darunter hervor. Sie trippelt auf hochhackigenweißen Lederstiefeln zur Beifahrertür und lugt prüfend durchs beschlagene Fenster, bevor sie die Tür öffnet und auf den Sitz klettert. Jetzt, von Nahem, während sie ihren Anorak öffnet und ihre absurde Kopfbedeckung abnimmt, erkennt Manni, dass sie mitnichten ihre Obduktionsklamotten trägt, sondern einen Hosenanzug mit akkuraten Bügelfalten. Auf ihrem Bauch blitzt eine goldene

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