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Nacht ohne Schatten

Nacht ohne Schatten

Titel: Nacht ohne Schatten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gisa Klönne
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für Frauen.«
    Ekaterinas Herz beginnt zu rasen. Das ist es, was sie befürchtet hat, ihr Versäumnis wird auffliegen, und noch dazu hat sie es sich vorgestern Abend durch ihren wütenden Abgang mit dieser Judith Krieger verdorben. Es wird nicht lange dauern, bis Karl-Heinz Müller davon erfährt. Vielleicht weiß er es auch schon längst, und sie ist raus, vielleicht hat er sie deshalb gestern mit der Untersuchung der Selbstmörderin betraut. Und sie war zu feige, der Wahrheit ins Auge zu schauen. Zu feige, zu dumm. Zu erleichtert, weil die sterblichen Überreste der Selbstmörderin tiefen Frieden auszustrahlen schienen, ganz anders als die Körper des Pizzabäckers und des S-Bahn-Fahrers und erst recht als die Komapatientin im Krankenhaus.
    Â»Es wird nichts bringen, bei Frauen für Frauen. Sie sagen doch nur, dass ich mich scheiden lassen soll, wollen mich in ein Frauenhaus schicken.«
    Ines’ Worte zwingen Ekaterina zurück in die Gegenwart. Reiß dich zusammen, ermahnt sie sich stumm. Du weißt doch überhaupt nicht, was sie von dir will. Streng dich an, mach jetzt nicht noch einen Fehler, noch hast du deinen Job nicht verloren, noch weißt du nicht mal, ob sie sich überhaupt über dich beschweren würde. Es scheint doch sogar so, als ob sie dich mag. Sie zwingt sich zur Ruhe, greift erneut nach dem Arm der großen, dünnen Frau, behutsamer jetzt. Wie bei ihrer ersten Begegnung im Institut lässt diese nun, da Ekaterina die Führung übernimmt, plötzlich jeden Widerstand fahren und stützt sich auf sie, bis sie eine der hölzernen Sitzbänke erreichen.
    Â»Ihr Mann schlägt Sie«, sagt Ekaterina, die Absurdität der Tatsache übergehend, dass sie nun trotz der feuchten Kälte wie zwei dösige Rentner nebeneinander auf einer Parkbank sitzen. »Letzte Woche hat Ihr Mann versucht, Sie zu erwürgen. Vielleicht wird es ihm beim nächsten Mal gelingen. Oder beim übernächsten Mal. Wollen Sie das?«
    Â»Er liebt mich.«
    Â»Sie nennen das Liebe?« Ekaterina deutet auf Ines’ Oberarm.
    Â»Sie verstehen das doch! Sie sind nicht so wie diese deutschen Frauen, die immer nur von Emanzipation reden. Sie kennen auch die dunkle Seite der Liebe, das habe ich auf diesem Zeitungsfoto gleich erkannt.«
    Sie ist verrückt, denkt Ekaterina. Sie lauert mir auf, wer weiß, wie lange sie mir schon nachspioniert. Wer weiß, was sie eigentlich im Schilde führt.
    Â»Ich habe einen Tigerkater«, sagt Ines, wie um Ekaterinas Spekulationen über ihren Geisteszustand zu bestätigen. »Ich mache mir Sorgen um ihn. Ich habe schon einmal eine Katze gehabt. Dann ist sie eines Tages verschwunden. Was ist, wenn ich diesen Kater auch noch verliere? Er ist doch so lieb, ich streichele ihn so gern.«
    Â»Sie könnten ihn mitnehmen, wenn Sie gehen.«
    Die Frau neben ihr lacht. Ein trockenes, bitteres Geräusch, wie Herbstlaub, das im Frost zerbricht. »Ich kann meinen Mann nicht verlassen, er liebt mich doch. Und ich, ich bin nichts ohne ihn.«
    Â»Er wird Sie töten, wenn Sie bei ihm bleiben«, sagt Ekaterina, und dann jagen die Erinnerungen an die Insel im weißen Meer heran, die Nachtgeräusche ihrer Kindheit, die namenlose Angst und die traurigen Birken – Birken, immer sind es Birken, die an den russischen Gräbern stehen, in Nischnij Tagil und anderswo. Ekaterina zwingt die Erinnerungen zurück. Bleib vernünftig, redet sie sich zu. Mach deinen Job. Sie mustert die Frau an ihrer Seite. Eine schöne Frau, von der Kleidung, Frisur und dem dezenten Goldschmuck zu schließen eindeutig wohlhabend, bestimmt auch gebildet. Aber ihr Habitus verrät nichts von der Macht, die damit eigentlich einhergehen müsste. Wie eine von ihrem Puppenspieler vergessene Marionette wirkt sie.
    Ekaterina räuspert sich. »Warum haben Sie hier auf mich gewartet, Ines, was wollen Sie von mir?«
    Die Frau zuckt zusammen, als kehre sie aus einem fernen Traum zurück auf die Parkbank.
    Â»Sie müssen mir helfen.«
    Â»Wenn ich Ihnen helfen soll, muss ich Sie untersuchen, und das geht nur im Institut.«
    Â»Nein! Niemand darf mich sehen.«
    Die Scham geschlagener Frauen sei groß, hat Antje Schmitt-Mergel erklärt. Das Anti-Gewalt-Projekt nehme das sehr ernst. Auf jeden Fall müsse man den Frauen, die um Hilfe bitten, größtmögliche Anonymität garantieren. »Es ist noch

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