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Nacht ohne Schatten

Nacht ohne Schatten

Titel: Nacht ohne Schatten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gisa Klönne
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Judith hört Mannis Schritte auf dem Flur, schnell und dynamisch. Schritte, die näher kommen, im Herrenklo verschwinden, sich wenig später wieder entfernen. Sie wollte nicht, dass es wieder schiefgeht mit ihm. Nun ist es doch geschehen.
    Sie tritt auf den Flur, riecht den Hauch eines Aftershaves. Manni ist in seinem Büro, die Tür nur angelehnt, sie hört sein Lachen und seine Stimme, ungewohnt sanft und unbeschwert, macht wieder kehrt.
    Sie fängt ihn später ab, als er nach Hause will. »Es tut mir leid«, sagt sie. »Du hast natürlich recht, das Foto ist ein Durchbruch, auch wenn es noch offene Fragen gibt.«
    Es ist sein Aftershave, das sie vorhin gerochen hat, erdig und herb.
    Â»Ich muss los.« Er drängt sich an ihr vorbei.
    Judith geht zur Toilette, wäscht sich Gesicht und Hände. 21 Uhr. Sie hatte sich noch umziehen wollen, schick machen für die Benefizgala. Jetzt ist es zu spät, und sie weiß nicht mehr, was sie da überhaupt sucht. Der grobzinkige Kamm bleibt in ihren Locken stecken, die wieder einmal völlig verknotet sind. Sie reißt ihn heraus, schleudert ihn auf den Boden, tritt die Bruchstücke in eine Ecke. Männer. Frauen. Die Missverständnisse. Die Abhängigkeiten. Die Kämpfe. Die Verletzungen. Die Sehnsucht, die trotz allem bleibt. Sie ist es so leid.
    Zurück in ihrem Arbeitszimmer, zieht sie ein rotes Seidentuch aus der Schreibtischschublade und bändigt ihr Haar damit, ohne noch einmal in den Spiegel zu sehen, bevor sie hinunter zum Parkdeck geht. Der Wind hat aufgefrischt und bringt die unwirkliche, für Köln so typische Winterschwüle zurück. Judith fährt sehr schnell, mit offenem Seitenfenster, raucht und hört My Brightest Diamond dabei, Nadas Musik. Wärme schlägt ihr in der Kunstfabrik entgegen. Stimmengewirr, Parfumduft, das Klirren von Gläsern. Sie geht durch den unteren Flur, vorbei an Kunstwerken, geöffneten Ateliertüren und allerlei Werkzeugen, die heute Abend hier ausgestellt werden. Meißel, Feilen, Pinsel, Schnitzmesser, Papiere und Farben.
    Â»Wir wollen hier in der Kunstfabrik bleiben, weil wir überzeugt sind, dass die Kunst in diese Stadt gehört, in diese Gesellschaft – nicht an den Rand.« Die durch ein Mikrofon übertragene Frauenstimme überlagert die anderen Geräusche, die nach und nach zum Erliegen kommen. Judith betritt die Fabrikhalle am Ende des Flurs, sieht sich nach der Sprecherin um.
    Â»Es gibt ein Angebot des neuen Besitzers, unsere Ateliers zu sanieren und wieder an uns zu vermieten. Das klingt erst einmal sehr gut.«
    Eine vollkommen veränderte Thea Markus ist die Sprecherin, eine Art Vamp heute Abend, mit schwarzem Abendkleid und offenem Haar. Sie steht auf der Bühne, die die Künstler am Morgen errichtet haben, das Mikrofon in der einen Hand,lässig auf ihren Gehstock gestützt. Nichts ist mehr von der dumpfen Verzweiflung des Vormittags zu spüren.
    Â»Aber auch, wenn wir mehr Komfort durchaus zu schätzen wissen, können wir uns die nach der Sanierung geplante Verdreifachung unserer Miete nicht leisten.«
    Wo ist Nada, das Zugpferd, der Star? Die Frau, die Männer verführt und sich nicht um gebrochene Herzen schert, wenn man Thea Markus Glauben schenken darf? Judith reckt sich auf die Zehenspitzen, entdeckt aber statt einer schönen jungen Frau nur Paul Klett, der nun zu der Bildhauerin auf die Bühne steigt. Er ergreift das Mikrofon wie ein geübter Conférencier, verneigt sich, lächelt. »Wir sind also auf Ihre Unterstützung angewiesen – und auf ein Entgegenkommen der Stadt, deren Vertreter wir hier heute Abend gemeinsam mit unseren anderen Gästen herzlich begrüßen.«
    Irgendetwas hat sie gerade gesehen, etwas Wichtiges. Etwas oder jemanden? Nada vielleicht, die sie nur von Fotos kennt? Judith drängt sich an ein paar wohlriechenden, Gala-gewandeten Mitbürgern vorbei zum verwaisten Buffet, von wo aus sie einen besseren Überblick hat.
    Â»Interessante Frisur.«
    Judith fährt herum, starrt den Journalisten Gero Sanders an.
    Â»Was machen Sie denn hier?«
    Er grinst, hält ihr eine Platte mit Hähnchenschenkeln hin. »Als Pressevertreter hab ich eine Einladung bekommen. Und Sie?«
    Â»Ich mag Kunst.«
    Â»Das sehe ich.« Er legt den Kopf schief, ohne den Blick von Judith zu lösen.
    Ihr Magen knurrt, und die Verlegenheit darüber treibt ihr

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