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Nacht ohne Schatten

Nacht ohne Schatten

Titel: Nacht ohne Schatten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gisa Klönne
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steht auf, lässt das Messer in ihre Manteltasche gleiten.
    Â»Mein Feuerzeug war runtergefallen.« Sie bewegt sich auf Sanders zu, weg von dem offenen Werkzeugkasten. Unerlaubte Beschlagnahmung von Beweismaterial, das wahrscheinlich gar keines ist, sie muss verrückt sein, und vor allem muss sie raus hier, schnell, bevor Thea Markus zurückkommt oder Sanders sie noch weiter in die Mangel nimmt.
    Aber es ist zu spät, die Bildhauerin und die junge Wächterin betreten das Atelier, dicht gefolgt von Alexander Nolden, der nun eine langbeinige, elfenhafte Schönheit im Arm hält. Ein Pulk Journalisten mit Kameras drängt sich hinter ihnen in den Raum.
    Â»Sie will dieses Bild kaufen und direkt mitnehmen.« Die junge Atelierhüterin zeigt Thea Markus das fragliche Bild.
    Â»Es ist wunderschön.« Judith zwingt sich zu einem Lächeln.
    Der Blick der Bildhauerin gleitet zu dem geöffneten Werkzeugkasten, dann zu Nolden und den Journalisten und schließlich zu Judith.
    Â» 500 Euro und es gehört Ihnen«, sagt sie kühl.
    * * *
    Ekaterina beginnt zu zittern, sobald sie die Wohnungstür hinter sich zugezogen hat. Sie weiß nicht genau, wie sie die letzten Stunden verbracht hat, erinnert sich nur schemenhaft an den Fußweg nach Hause. Sie hat versucht zu arbeiten, sich auf die Podiumsdiskussion am nächsten Tag vorzubereiten. Sie hat versucht, die Zahlen zu verstehen. Jede vierte Frau in Deutschland wird im Laufe ihres Lebens Opfer häuslicher Gewalt, behauptet eine Studie der Bundesregierung. Reiche Frauen und arme. Junge und alte. Nie hat sie sich dieses Ausmaß vorgestellt, hier, in ihrem gelobten Land, weit über tausend Kilometer von ihrer Kindheit entfernt. Männer schlagen ihre Frauen, manche erschlagen sie. Weil sie arm sind, besoffen, hoffnungslos. Nie wäre sie in Russland auf die Idee gekommen, darüber öffentlich zu diskutieren. Man muss sich damit abfinden, so ist es eben, das hat sie gedacht.
    Sie schleppt sich ins Bad, noch in Mantel und Mütze. Sie weiß, dass es in ihrer Wohnung warm ist, aber sie fühlt es nicht. Sie lässt heißes Wasser in die Wanne, schüttet Lavendelbadesalz dazu. Wie sind die letzten Stunden vergangen? Sie hat die Studie nicht mehr ertragen, hat den Computer ausgeschaltet, das Licht gelöscht. Sie ist wieder ans Fenster getreten und hat hinunter auf den jüdischen Friedhof gestarrt. Grabmale ohne Kreuze, wie seltsam das ist. In dem Moment, in dem sie den Fuchs sah, wurde ihr klar, dass sie auf ihn gewartet hat. Das Krafttier ihrer Urgroßmutter, geächtet wie sie, schlich durch den Efeu, sah zu Ekaterina herauf.
    Die Menschen hassen den Fuchs, weil er schlau ist, sich vor ihnen verbirgt, hat die Großmutter Ekaterina erklärt. EinFuchsbau ist ein kompliziertes System aus zahlreichen Tunneln, es hat immer sehr viele Ausgänge. Manchmal versuchen die Jäger, sie zu verstopfen und Gas in den Bau zu leiten, doch wenn sie das tun, ist der Fuchs immer schon fort. Eine Kreatur der Nacht, ganz selten für Menschen zu sehen. Nur seinesgleichen ist er ein treuer Gefährte, paart sich fürs Leben, bis zu seinem Tod.
    Einsamkeit. Mit der Erinnerung an die Insel ist sie zu Ekaterina zurückgekommen, vielleicht war sie auch immer da, und sie hat es nur nicht gemerkt. Damals, an ihrem sechsten Geburtstag, hat Ekaterina auch so gezittert wie jetzt, ein Kind aus dem Schnee, das nicht spricht und nicht schreit, während man es von einer gefrorenen Landschaft in eine andere transportiert.
    Ekaterina zieht sich aus, das Zittern wird stärker. Sie kann keine Musik ertragen, keine Kerzen, schon gar keine Eiscreme. Sie gleitet im Dunklen in das heiße, duftende Wasser, sehr heißes Wasser, sie fühlt es kaum. Ganz selten gibt es in Russland eine Nacht, die dunkler ist als die Schatten. Eine Neumondnacht, ohne Polarlicht, ohne Schnee. Dann sind keine Konturen mehr zu sehen, dann ist alles schwarz.
    Sie muss eingeschlafen sein, denn als jemand an ihrer Haustür Sturm klingelt, ist das Badewasser schon kühl. Ekaterinas Frieren ist jetzt ein anderes Frieren, eines, das nicht aus ihrem Innersten kommt, das macht ihr Mut.
    Die Gegensprechanlage knistert.
    Â»Ja, bitte?« Ekaterinas Stimme klingt heiser.
    Â»Taxi hier, ich hab ein Paket für Sie.«
    Â»Jetzt? Mitten in der Nacht?«
    Â»Eine Privatlieferung.«
    Ekaterinas Herz beginnt zu rasen. »Von wem?«
    Der Mann klingelt wieder,

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