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Nacht ohne Schatten

Nacht ohne Schatten

Titel: Nacht ohne Schatten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gisa Klönne
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länger jetzt, statt eine Antwort zu geben. Sie presst den Hörer auf die Gabel, schlingt den rosa Flanellbademantel enger um sich. Wieder schrillt die Klingel, ungeduldig und fordernd. Ohne das Licht einzuschalten, tapptEkaterina auf ihren Balkon. Tatsächlich steht unten ein Taxi auf der Straße. Ein Mann ist eben im Begriff, wieder auf den Fahrersitz zu steigen, er knallt die Tür zu und gibt Gas, lässt eine große, eckige Kiste auf dem Bürgersteig zurück. Ekaterina lehnt sich noch weiter über die Balkonbrüstung, versucht sich das Nummernschild einzuprägen, ist aber nicht schnell genug. Jemand saß auf der Rückbank, ein Fahrgast. Vielleicht. Vielleicht aber auch nicht.
    Etwas schreit. Jammert wie ein Säugling, schreit um sein Leben. Die Klagelaute kommen aus der Kiste, Ekaterina braucht ein paar Sekunden, bis sie das begreift. Sie denkt nicht nach, reagiert instinktiv. Setzt die Pelzmütze auf, fährt mit bloßen Füßen in ein Paar Stiefel, kniet auf dem Bürgersteig vor der Kiste, bevor sie das richtig begreift.
    Kein Säugling ist darin, sondern ein Kater. Ein tobendes grau getigertes Tier. Die ersten Fenster gehen auf, Nachbarn brüllen herunter. Ruhe, verdammt. Was ist hier los? Die Kiste ist ein Tiertransportkorb. Ekaterina packt ihn am Tragegriff, schleppt ihn in ihre Wohnung, was bleibt ihr auch übrig. Eine Gabe von Ines, dessen ist sie sich sicher. Der Kater, um den sie sich sorgte. Der Kater, den sie nicht bei ihrem Mann zurücklassen wollte. Was bedeutet es, wenn sie ihn jetzt zu Ekaterina bringt? Dass sie sich in Sicherheit befindet, ihren Mann verlassen hat? Oder ist dieser Kater gar nicht von Ines, und irgendjemand spielt Ekaterina einen makabren Streich?
    Ekaterina füllt in der Küche eine Schale mit Wasser, stellt sie auf den Boden, lässt den Kater frei. Wie ein Blitz schießt er unter das Sofa, kauert dort und beobachtet Ekaterina, zur Flucht bereit. Ekaterina setzt sich auf den Boden. Sie wird es nicht übers Herz bringen, ihn ins Tierheim zu geben, woher nur hat diese Ines das gewusst? Ganz leise beginnt sie zu ihm zu sprechen, erzählt ihm von sich, lädt ihn zu sich ein. Nach einer Weile pirscht er auf sie zu, noch immer geduckt. Lautlos wie die Schwäne, auf der Hut wie der Fuchs. Tjuollda ruft sie ihn, wegen des weißen Polarsterns auf seiner Brust, und er hebtden Kopf und sieht sie an, als ob das tatsächlich sein Name sei. Erst da merkt sie, dass sie ihn nach dem Kater der Urgroßmutter benannt hat und dass sie in der alten Sprache zu ihm spricht, der samischen Sprache, der Sprache der Schamanen. Der Kater beginnt zu schnurren, tritt sich ein Nest auf Ekaterinas Schoß, rollt sich zusammen.
    Ein Überlebender wie sie. Sie streichelt ihn mechanisch, weiß plötzlich nicht mehr, ob sie wacht oder träumt oder verrückt geworden ist.

3 . T EIL
    Wahrheit
    looting the destroyed
    vessels of the sea
    I wondered if the waves
    had taken all of me
    all of me back
    down to the black
    down to where the worms reign
    silent and green
    silent
    WRECKING
    Laura Veirs

Freitag, 13. Januar
    Leere. Schwärze. Lichtsplitter unter ihr, winzig und kalt. Die schon beinahe vertraute Stimme schwebt in der Luft, körperlos wie Judith selbst. Jetzt weißt du, wie es ist. Aber das stimmt nicht, ganz und gar nicht, stimmt vielleicht nie. Ein Geräusch mischt sich hinzu. Schrill. Enervierend. Sich wiederholend. Alarm. Ist sie im Begriff, aus einem Flugzeug zu springen, fällt sie schon, haltlos durch die Nacht? Nein, noch nicht. Aber die Angst ist da, Panik, die ihr die Luft abschnürt.
    Das Telefon – das Geräusch ist das Telefon.
    Â»Henning, Kriminalinspektion. Tut mir leid.«
    Dieselben Worte wie vor einer Woche. Mit einem Ruck setzt Judith sich auf, presst den Hörer fester ans Ohr.
    Â»â€¦ nicht sicher, ob es einen Zusammenhang gibt, aber ich dachte, ich sag besser Bescheid.«
    4:30 Uhr, Feuer in der Kunstfabrik. Judith stolpert aus dem Bett, an dem Gemälde von Thea Markus vorbei. So schön wirkt die Endlosigkeit des Nachthimmels darauf, ein Gefährte, kein Feind. Sie hatte gehofft, dass sie längst unbemerkt verschwunden wäre, bis die junge Frau mit Thea Markus zurückkäme, um das Bild zu verkaufen. Der Plan war nicht aufgegangen, also hat sie das Schauspiel zu Ende gespielt und das Bild tatsächlich gekauft, und zu ihrer Verwunderung bereut sie das

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