Nacht über Algier
erzählte, dessen Schnauzbart so gewaltig war wie sein Stolz und seine mit Orden behängte Brust. Als die Allerheiligen-Revolution ausbrach, haben nur wenige sie ernst genommen.
Sich gegen seine Mutter auflehnen, obendrein eine der bedeutendsten Großmächte der Welt, war Blödsinn. Aber je heftiger es im Maquis knallte, desto weniger wußte man, was man machen sollte. Auf der einen Seite trieben die Fellagas die Schwankenden immer mehr in die Enge, auf der anderen Seite ließen sich die Bedürftigsten durch die Befriedungspolitik beeinflussen. Es war absurd, jedenfalls blickte niemand mehr durch in diesem verdammten Chaos, das immer nur noch schlimmer wurde. Es war ein fürchterlicher, schändlicher, absurder Krieg, und kein einziger Mensch glaubte auch nur einen Augenblick, daß er auf der falschen Seite stehen würde.«
»Und auf welcher standen Sie?« frage ich ihn.
Wie von einer Keule niedergestreckt, läßt ihn meine Frage schlagartig verstummen. So als zöge sich der Sturm urplötzlich zurück. Bleierne Schwere legt sich über die Berge. Soria ist wie erstarrt. Mit offenem Mund blickt sie den Bauern an. Aschfahl im Gesicht und den Blick in die Ferne gerichtet, keucht er wie nach einem atemlosen Rennen.
»Warum sind Sie gekommen, mir den Tag zu verderben?«
Es ist ein solcher Kummer in seiner Stimme, daß Soria es vorzieht, das Feld zu räumen. Mit gesenktem Kopf geht sie zum Auto.
Mir wird klar, was für einen Schnitzer ich mir geleistet und was für einen Schaden ich damit angerichtet habe.
Ich versuche es wiedergutzumachen und sage: »Kriege sind immer schmutzig, Monsieur Labras.«
Er hört mich nicht. Er starrt auf einen kahlen Hügel am Fuß des Gebirges, und erst eine ganze Weile später schüttelt er den Kopf und kehrt dann, ohne mich zu beachten, zu seinen Hühnern zurück, die aufgeregt hin und her laufen, als sie ihn kommen sehen.
17
»Monsieur Llob«, herrscht mich Soria im Auto an, »ich erwarte nicht, daß Sie ein Diplomat sind, aber Sie könnten wenigstens ein Minimum an Höflichkeit aufbringen.«
»Es ist mir so rausgerutscht«, gebe ich zu.
Ihre Augen funkeln vor Zorn. Jede unserer Begegnungen ist in die Hosen gegangen. Und ausgerechnet als wir auf jemanden stoßen, der interessant ist und bereit, mit uns zusammenarbeiten, muß ich dieses unverhoffte Glück zunichte machen.
Soria jagt das Auto über den Schotter. Die Schlaglöcher heizen ihren Unmut noch zusätzlich an. Sie poltert los:
»Wir waten hilflos in dieser historischen Dreckbrühe herum, die dermaßen zum Himmel stinkt, Monsieur Llob, daß es zum Kotzen ist. Da bleibt niemand ungeschoren. Sie sind ein alter Freiheitskämpfer, und es fällt Ihnen schwer, sich gegenüber Ihren früheren Feinden zurückzuhalten. Doch heute ist es unsere Pflicht, diese unvorstellbaren Greueltaten aufzuarbeiten und uns diejenigen anzuhören, die sie verübt, aber auch jene, die sie erlitten haben. Es geht nicht darum, zu entschuldigen oder zu verurteilen, es geht darum, die Fakten zu rekonstruieren, um daraus Lehren zu ziehen, was wir bis jetzt versäumt haben. Was mich betrifft, ich habe meine Vorurteile an der Garderobe abgegeben, damit ich die Ereignisse mit der gebotenen Objektivität betrachten kann, ohne die jede ernsthafte Arbeit unmöglich ist.«
»Ich hab Ihnen schon gesagt, daß es mir rausgerutscht ist«, wettere ich gereizt.
»Ich bin nicht taub!« brüllt sie zurück und schlägt heftig auf das Lenkrad.
Mit einem brutalen Ruck schert das Auto aus, streift einen Busch und schleudert uns gegeneinander. Wütend trete ich auf die Bremse, was das Fahrzeug auf der Stelle zum Stehen bringt.
»Ich verbitte mir einen solchen Ton!« schnauze ich sie an.
Sie stößt mich zurück, empört über mein rüdes Benehmen.
»Ich bin nicht Ihre Untergebene, Kommissar. Sie haben mir nichts zu verbieten.«
Wir blicken uns feindselig an.
Als sich der aufgewirbelte Staub ringsum gesetzt hat, fängt Soria sich wieder. Sie streicht die Strähne, die ihr über das rechte Auge gefallen ist, zurück und entspannt sich.
»Na gut«, lenkt sie ein. »Versuchen wir beide, uns wie erwachsene Menschen zu benehmen.«
Ich brumme zustimmend und lasse die Sache gleichfalls auf sich beruhen.
Ein Vierergespann von Galgenvögeln lauert uns ungeduldig in der Hotelhalle auf. Es erhebt sich in einem Block, um uns abzufangen. Der Stämmigste, dessen vorspringende Backenknochen ihn als den Anführer kennzeichnen, baut sich vor mir auf.
»Monsieur
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