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Nacht über dem Bayou (Detective Dave Robicheaux) (German Edition)

Nacht über dem Bayou (Detective Dave Robicheaux) (German Edition)

Titel: Nacht über dem Bayou (Detective Dave Robicheaux) (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: James Lee Burke
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her, der mit der Winde auf das schlammige Ufer gezogen wurde. Sämtliche Fenster waren geschlossen, und der Innenraum stand vom Dach bis zum Boden voll braunem Wasser. Dann sahen wir hinter der Glasscheibe auf der Beifahrerseite etwas rosig hell aufleuchten, wie ein gefleckter Goldfisch, der kurz an der Wand eines verdreckten Aquariums vorbeistreicht.
    Der Taucher versuchte die Tür zu öffnen, doch sie steckte im Schlamm fest. Er besorgte sich einen schweren Vorschlaghammer mit einem ziegelsteingroßen Kopf und schlug das Fenster auf der Beifahrerseite ein.
    Das Wasser schoss durch das zersplitterte Glas hinaus und schwemmte allerlei Krebse, Blutegel und ein Nest voller fadendünner Wassermokassinschlangen heraus, die sich wie verrückt im Gras wanden. Doch das waren nicht die entscheidenden Eindrücke.
    Die Hand einer Frau, dann der ganze Arm, ragten im Wasserschwall nach draußen, so als ob die Person, die auf dem Beifahrersitz angeschnallt war, auf irgendetwas im Gras deutete. Die Ringe an ihren Fingern waren mit Schmucksteinen besetzt, die Nägel rot lackiert, und ihre Haut war von einer Krankheit befallen, die sie allmählich ausbleichte.
    Ich ging neben dem Mann, der den Unfall gesehen hatte, in die Hocke und hielt ihm meine Visitenkarte hin.
    »Er hat nicht einmal versucht, sie rauszuholen. Er hat nicht um Hilfe gerufen. Er hat sie ertrinken lassen, alleine, in der Dunkelheit. Lassen Sie nicht zu, dass er so einfach davonkommt, Partner«, sagte ich.
    Clete rief mich am Samstag morgen im Köderladen an, als ich gerade ein Tablett voller Hühnerteile und Würste für die Angler, die bei uns zu Mittag einkehrten, auf den Grill legen wollte.
    »Hast du ein Boot zu vermieten?«
    »Klar.«
    »Kannst du dem Typ, den ich dabeihabe, auch was zum Angeln leihen?«
    »Ich habe eine Rute, die er sich borgen kann.«
    »Ist doch ein prima Tag für so was.«
    »Wo steckst du?«
    »Ein Stück die Straße rauf, bei dem kleinen Lebensmittelladen. Der Typ sitzt in meinem Auto. Aber er geht nicht gern wo hin, wenn er nicht eingeladen ist – weißt du, was ich meine, Dave? Du willst doch Mingo haben? Wenn ich ’n Ausgebüxten aufspüren muss, brauch ich bloß mit dem Typ zu reden, der in meinem Auto sitzt. In diesem Fall fühlt er sich sogar persönlich verantwortlich. Außerdem kennt ihr euch von früher, stimmt’s?«
    »Clete, du hast doch nicht etwa Jerry Joe Plumb hierher gebracht?«, fragte ich.
    Er war seinerzeit berüchtigt gewesen, als er im letzten Schuljahr von der High School geflogen war – ein Junge, der einen angrinste, kurz bevor er zuschlug, ein Bourréespieler, der den erwachsenen Männern im Saloon drunten in der Stadt hohe Einsätze abnahm, der beste Tänzer weit und breit, ein Tunichtgut, der im Eisenwarenladen Schlagringe aus Aluminium goss und sie für einen Dollar das Stück verkaufte, ohne die zackigen Kanten abzuschleifen, sodass man seinem Widersacher damit rote Girlanden ins Gesicht stanzen konnte.
    Aber all das passierte erst, nachdem Jerry Joes Mutter gestorben war, als er in die zweite Oberschulklasse ging, Ich konnte mich noch an einen anderen Jungen erinnern, an eine andere Zeit, viel früher.
    In der Grundschule hörten wir, dass sein Vater auf Wake Island gefallen wäre, aber was Genaues wusste keiner. Jerry Joe war einer der Jungs, die es von einer Stadt zur anderen, von einer Schule zur nächsten verschlug, je nachdem, wo seine Mutter Arbeit fand. Sie wohnten eine Zeit lang in einer Hütte neben einer Ziegelei in Lafayette, danach etliche Jahre in einem Wohnwagen hinter einer Schweißerei südlich von New Iberia. Sonntags und an jedem ersten Freitag im Monat sahen wir ihn mit seiner Mutter den weiten Weg zur Kirche gehen, sowohl bei grimmiger Kälte als auch bei vierzig Grad im Schatten. Sie war eine blasse Frau mit einem verkniffenen, stets ängstlich wirkenden Gesicht, und sie ließ ihn immer auf der Innenseite gehen, so als könnten die vorbeifahrenden Autos jederzeit über den Bordstein rasen und sie beide umbringen.
    Eine Zeit lang arbeiteten seine und meine Mutter gemeinsam in einer Wäscherei, und nach der Schule gingen wir zu mir nach Hause und spielten, bis unsere Mütter im schief hängenden Pick-up meines Vaters den Fahrweg entlangkamen. Wir hatten ein Grammofon mit Handkurbel, und Jerry Joe wühlte immer in dem Haufen eingestaubter Schellackplatten herum, holte die alten, zerkratzten Aufnahmen von den Hackberry Ramblers und Iry LeJeune heraus und hörte sie sich ein ums andere

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